Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Sadiq wisse intuitiv, was einem Jungen gefalle und was er gern hätte, weil er mir bei jedem Besuch ein Geschenk mitbrachte und mich in den hohen Sattel seines Pferdes setzte, das gleich vor dem Laden angebunden war – jedenfalls solange meine Mutter nicht in der Nähe war, um ihre Missbilligung zu äußern, denn sie missbilligte es.
– Na bitte, kleiner Reiter.
Ich blickte auf die Männer herab.
– Er sieht aus, als ob er da oben hingehört, Deng.
– Ich finde, er sieht ziemlich verängstigt aus, Sadiq.
Die beiden Männer lachten, doch ich hörte sie kaum.
Hoch oben im Sattel empfand ich zunächst Macht. Ich war größer als mein Vater, größer als Sadiq und ganz sicher größer als alle Jungen meines Alters. Auf dem Pferd fühlte ich mich richtig erwachsen, und ich nahm eine herrschaftliche Haltung ein. Ich konnte über die Zäune der Nachbarn hinweg bis zur Schule sehen, und ich konnte eine Eidechse sehen, die auf Augenhöhe mit mir über unser Dach huschte. Ich war riesig, ich war eine Kombination aus mir selbst und dem Tier, das ich beherrschte. Meine hochfliegenden Gedanken stürzten ab, als die Zähne des Pferdes mein Bein entdeckten.
– Sadiq!, rief mein Vater. Er sprang herbei, packte mich und zog mich aus dem Sattel. – Was zum Teufel ist bloß los mit dem Biest?
Sadiq stammelte. – Das macht sie sonst nie, sagte er und schien ehrlich verblüfft. – Das tut mir leid. Alles in Ordnung, Achak?
Ich blickte hoch und nickte, verbarg meine zitternden Hände. Sadiq betrachtete mich prüfend.
– Du bist ein tapferer Junge!, sagte Sadiq und legte mir eine Hand auf den Kopf.
– Ich habe gewusst, dass das kein guter Einfall ist, sagte mein Vater. – Die Dinka sind kein Reitervolk.
Ich starrte dem Pferd in die Augen. Ich hasste das abscheuliche Tier.
– Es gibt jede Menge Dinka, die auf Pferden geritten sind, Deng. Wäre es nicht gut, wenn unser Achak es lernen würde? Das würde ihn in den Augen der Mädchen nur noch anziehender machen. Nicht wahr, Achak?
Das brachte meinen Vater zum Lachen und löste die Anspannung.
– Ich glaube, auf dem Gebiet braucht er keine Hilfe, sagte mein Vater.
Die beiden prusteten los und sahen jetzt wieder zu mir hinunter. Ich starrte weiter das Pferd an und stellte zu meiner eigenen Überraschung fest, dass mein Zorn bereits verflogen war.
An jenem Abend aß ich zusammen mit den Männern, rund einem Dutzend Händlern, die auf dem Hof meines Vaters im Kreis um ein Feuer saßen. Einige von ihnen kannte ich aus den Läden, aber viele hatte ich noch nie gesehen. Unter den Gästen waren weitere Baggara, aber ich blieb an Sadiqs Seite, einen Fuß auf seine Ledersandale gestellt. Die Unterhaltung drehte sich zunächst um den Preis für Mais und Vieh, das einigen Baggara-Gruppen nördlich von Marial Bai gestohlen worden war. Man war sich einig, dass die Bezirksgerichte, in denen Vertreter der Baggara, der Dinka und der Regierung in Khartoum saßen, diese Angelegenheit klären würden. Eine Zeit lang aßen und tranken die Männer, bis ein Dinka, ein dicker Mann mit einem breiten Grinsen, der jünger war als die Übrigen, meinen Vater, dem er gegenübersaß, ansprach.
– Deng, machst du dir keine Sorgen wegen dieser Rebellion?
Er sagte das mit einem strahlenden Lächeln, als könne er gar nicht anders dreinblicken.
– Nein, nein, sagte mein Vater. – Diesmal nicht. Ich habe bei dem letzten Aufstand mitgemacht, wie einige von euch wissen. Aber dieser neue, ich weiß nicht.
Die anderen Männer murmelten beifällig und schienen die Sache damit als erledigt zu betrachten. Doch der grinsende Mann hakte nach.
– Aber sie sind jetzt in Äthiopien, Deng. Da braut sich was zusammen.
Wieder lächelte er.
– Nein, nein, sagte mein Vater. Er winkte mit dem Handrücken in Richtung des jungen Mannes, aber das wirkte eher gespielt als überzeugend.
– Sie haben die Unterstützung der Äthiopier, fügte der grinsende Mann hinzu.
Das schien meinen Vater zu erstaunen. Es kam nicht oft vor, dass ich Zeuge wurde, wie mein Vater etwas Neues erfuhr. Sadiq warf einer der Ziegen am Rand des Hofes ein Stück Fleisch aus seinem Topf zu und sprach dann den jungen Mann an.
– Glaubst du etwa, die rund zwanzig Deserteure der sudanesischen Armee kommen zurück und machen aus dem Sudan ein kommunistisches Land? Das ist Wahnsinn. Die Regierung des Sudan würde Äthiopien zerschlagen. Und sie wird jeden Aufstand zerschlagen.
– Ich möchte nicht bestreiten, dass die Deserteure
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