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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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schätzen wusste, was ihm gegeben worden war, ob er sich an dem Reichtum, der vor ihm ausgebreitet lag, erfreuen konnte, anstatt ihn für das Unbekannte aufzugeben. Und weil der erste Mensch imstande war, dies zu erkennen, hat Gott uns gedeihen lassen. Die Dinka leben und wachsen, wie das Rind lebt und wächst.
    Der grinsende Mann legte den Kopf schief.
    – Ja, aber darf ich dich etwas fragen, Onkel Deng?
    Mein Vater, der die guten Manieren des Mannes zu schätzen wusste, setzte sich und nickte.
    – Du hast uns keine Antwort gegeben: Was ist das Was?
    Mein Vater zuckte die Achseln. – Das wissen wir nicht. Niemand weiß das.
    Bald war das Abendessen zu Ende und auch das anschließende Trinken, und die Gäste schliefen in den zahlreichen Hütten auf dem Hof meines Vaters, und ich lag in seiner Hütte, tat, als ob ich schliefe, beobachtete aber stattdessen Sadiq und hielt den Glasedelstein fest in der geballten Faust.
    Ich hatte die Geschichte vom Rind und dem Was schon viele Male gehört, aber noch nie hatte sie so geendet. In der Version, die mein Vater mir sonst erzählte, hatte Gott das Was den Arabern gegeben, und deshalb waren die Araber uns unterlegen. Die Dinka erhielten das Rind, und die Araber versuchten, es ihnen zu stehlen. Gott hatte den Dinka das bessere Land gegeben, fruchtbar und üppig, und er hatte ihnen das Rind geschenkt, und auch wenn das ungerecht schien, es war nun einmal Gottes Wille und somit nicht zu ändern. Die Araber lebten ohne Wasser und urbaren Boden in der Wüste, und wenn sie an Gottes reichen Gaben teilhaben wollten, mussten sie ihr Vieh stehlen und es dann im Dinkaland weiden lassen. Sie waren sehr schlechte Hirten, diese Araber, und weil sie nicht begriffen, welchen Wert Vieh besaß, schlachteten sie es nur. Sie waren verwirrte Menschen, erklärte mein Vater mir oft, hoffnungslos in vielerlei Hinsicht.
    Doch nichts davon war an diesem Abend Teil der Erzählung meines Vaters, und ich war froh. Ich war stolz auf meinen Vater, weil er die Geschichte abgeändert hatte, um die Gefühle von Sadiq und den anderen Händlern zu schonen. Bestimmt wussten die Araber, dass sie den Dinka unterlegen waren, aber mein Vater hätte es unhöflich gefunden, ihnen das beim Abendessen zu erläutern.
    Am nächsten Morgen sah ich Sadiq Aziz zum letzten Mal. Es war Kirchtag, und als meine Familie gerade aufstand, war Sadiq draußen und machte sein Pferd fertig. Ich kroch aus der Hütte, um ihn zu verabschieden, und auch mein Vater war da.
    – Bist du sicher, dass du nicht mitkommen willst?, fragte mein Vater.
    Sadiq lächelte. – Vielleicht nächstes Mal, grinste er. Er schwang sich in den Sattel und ritt Richtung Fluss davon.
    Dieser Tag war auch der letzte, an dem ich die im Dorf stationierten Soldaten sah. Seit Jahren hielten sich Soldaten der Regierungsarmee in Marial Bai auf, jeweils rund zehn von ihnen, um den Frieden zu wahren. Nach der Messe, die bis zum frühen Vormittag dauerte, ging ich zur Kapelle der Episkopalen und wartete draußen auf William K und Moses. Ich fand schon die katholische Messe furchtbar lang, aber ich war heilfroh, nicht der Gemeinde von Reverend Paul Akoon anzugehören, dessen Predigten mitunter bis zum Einbruch der Dunkelheit dauerten. Nachdem William K und Moses herausgekommen waren und Moses sein Hemd gewechselt hatte, spazierten wir zum Fußballplatz, wo sich die Soldaten und Männer aus dem Dorf mit zwei Bällen warm spielten, die die Soldaten in ihrer Kaserne aufbewahrten. Die Soldaten vertrieben sich oft die Zeit mit Fußball und Volleyball, und die übrige Zeit rauchten sie und tranken ab nachmittags Wein. Keiner beschwerte sich darüber. Das Dorf war froh darüber, dass die Soldaten da waren und den Markt und die umliegenden Viehweiden vor den Raubzügen der Murahilin und anderer beschützten. Die in Marial Bai stationierten Soldaten lieferten einen Querschnitt der Ethnien und Religionen: christliche Dinka, Muslime aus Darfur, arabische Muslime. Sie wohnten gemeinsam in der Kaserne und führten ein relativ bequemes Leben. Sie patrouillierten ab und an durch den Ort und saßen ansonsten vor dem Laden meines Vaters unter dem Strohdach, tranken Areki, den Wein aus unserer Gegend, und sprachen darüber, wie sie sich das Leben nach ihrer Zeit bei der Armee vorstellten.
    Als das Spiel begann, nahmen William K, Moses und ich unsere Plätze hinter einem der Tore ein und hofften, die verschossenen Bälle zurückholen zu dürfen. Überall entlang den Seitenlinien und an

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