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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Siehst du irgendwelche Rebellen?, sagte sie mit lauterer Stimme. – Zeig mir die bewaffneten Rebellen, du Affe. Da kommt Mutter.
    Ihr gelbes Kleid war ein verwischter Klecks, der über die Erde fegte. Sie war bei mir, ehe ich anfangen konnte zu schluchzen. Sie packte mich und zog mich zu sich und erstickte mich beinah aus Versehen, und ich roch ihren Bauch und ließ sie mein Gesicht mit Wasser und dem Saum ihres Sonnenkleides saubermachen. Sie bekniete mich und meinen Vater, dass wir Marial Bai verlassen sollten, weil es hier am unsichersten war, weil die Armee unser Dorf häufiger als alle anderen Dörfer angegriffen hatte. Khartoums Botschaft war klar: Falls die Rebellen sich dafür entschieden weiterzumachen, würden ihre Familien getötet, ihre Frauen vergewaltigt, ihre Kinder versklavt, ihr Vieh gestohlen, ihre Brunnen vergiftet, ihre Hütten geplündert und ihr Land verbrannt.
    Ich lief zum Hof von William K. Er spielte im Schatten seiner Hütte, die zwar auch angezündet worden, aber ansonsten in besserem Zustand war als die anderen Behausungen des Dorfes.
    – William!
    Er hob den Kopf und blinzelte.
    – Achak! Bist du das wirklich?
    – Ja, ich bin’s. Ich bin wieder da!
    Ich lief zu ihm und boxte ihm gegen die Brust.
    – Ich habe gehört, dass du zurückkommst. Bist du jetzt ein Großstadtjunge?
    – Und ob, sagte ich und versuchte, wie einer zu laufen.
    – Ich denke, du bist wahrscheinlich immer noch dumm.
    Kannst du lesen?
    Ich konnte nicht lesen, ebenso wenig wie William K, und das sagte ich ihm.
    – Ich kann lesen. Ich lese alles, was mir unter die Augen kommt, sagte er.
    Ich wollte mit ihm losziehen, das Dorf erkunden, nach Moses suchen.
    Geht nicht, sagte er. – Meine Mutter lässt mich nicht weg. Sieh mal.
    William K zeigte mir eine Reihe von Stöcken, die so gelegt worden waren, dass sie eine Linie rund um den Hof der Familie bildeten. – Weiter darf ich ohne sie nicht gehen. Die haben meinen Bruder Joseph getötet.
    Davon wusste ich nichts. Ich erinnerte mich an Joseph, der viel älter war und auf der Hochzeit meines Onkels getanzt hatte. Er war ein sehr dünner Mann gewesen, klein, fast zerbrechlich.
    – Wer hat ihn getötet?
    – Die Reiter, die Murahilin. Die haben ihn und vier andere Männer getötet. Und den alten Mann, den Einäugigen auf dem Markt. Den haben sie getötet, weil er zu viel geredet hat. Er hat Arabisch gesprochen und die Plünderer verflucht. Da haben sie ihn erst mit einem Gewehr und dann mit ihren Messern getötet.
    Es kam mir ziemlich dumm vor, so zu sterben. Nur ein sehr schwacher Krieger würde sich von den Murahilin töten lassen, von einem Baggara-Räuber. Das hatte mein Vater mir viele Male erklärt. Die Murahilin waren furchtbar schlechte Kämpfer, hatte er gesagt.
    – Es tut mir leid, dass dein Bruder tot ist, sagte ich.
    – Vielleicht ist er auch nicht gestorben. Ich weiß es nicht.
    Sie haben ihn weggeschleift. Sie haben ihn niedergeschossen und dann ans Pferd gebunden und weggeschleift. Hier.
    William ging auf einen kleinen Baum zu, der an dem Weg nicht weit von seiner Hütte stand.
    – Da haben sie ihn niedergeschossen. Er war da drüben.
    Er zeigte auf den Baum.
    – Der Mann saß auf seinem Pferd. Er hat Joseph angeschrien: »Lauf nicht weg. Lauf nicht weg, sonst schieße ich!« Also ist Joseph stehen geblieben und hat sich zu dem Mann auf dem Pferd umgedreht. Und dann hat der auf ihn geschossen. Hat ihn hier getroffen.
    Er stieß mir seinen Finger tief in die Halsmulde.
    – Er ist gestürzt, und sie haben ihn ans Pferd gebunden.
    So.
    William K legte sich auf den Boden.
    – Nimm meine Füße.
    Ich hob seine Beine an.
    – Okay, jetzt zieh mich.
    Ich zog William K den Weg entlang, bis er anfing, wild zu strampeln.
    – Halt! Das tut weh, verdammt.
    Ich ließ seine Füße fallen und wusste im selben Augenblick, dass William K aufspringen und mir gegen die Brust boxen würde, was er auch prompt tat. Ich erlaubte es ihm, weil Joseph tot war und ich überhaupt nicht mehr verstand, was eigentlich los war.
    Meine Mutter machte mein Bett, und ich rollte nach links und rechts, um unter der Kalbsfelldecke warm zu werden.
    – Denk nicht an Joseph, sagte sie.
    Ich hatte seit dem Abendessen nicht mehr an Joseph gedacht, doch jetzt musste ich es wieder tun. Mir tat der Hals weh, da, wo William K seinen Finger reingedrückt hatte.
    – Was hat er ihnen denn getan? Warum haben die ihn erschossen?
    – Er hat nichts getan, Achak.
    – Irgendetwas muss er doch

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