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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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wieder hatte ich Feuerholz geholt. Ich sah, dass sie über meine Schulter blickte.
    Sag mir, Michael, wo ist deine Mutter? Hast du sie je starr vor Entsetzen gesehen? Kein Kind sollte das sehen. Es ist das Ende der Kindheit, wenn du siehst, wie das Gesicht deiner Mutter erschlafft, die Augen tot. Dass sie allein schon durch den Anblick der nahenden Gefahr besiegt ist. Dass sie nicht glaubt, dich retten zu können.
    – Oh Herr, sagte sie. Ihre Schultern sackten herab. Sie verschüttete heißes Wasser über meine Hand. Ich schrie kurz auf, doch dann hörte ich das Grollen.
    – Was ist das?, fragte ich.
    – Komm!, flüsterte sie. Ihr Blick huschte über den Hof. – Wo sind deine Schwestern?
    Ich hatte nicht gesehen, was meine Mutter gesehen hatte. Aber jetzt war da dieses Geräusch. Ein Vibrieren unter den Füßen. Ich schaute mich nach meinen Schwestern um, aber ich wusste, dass sie am Fluss waren. Meine Brüder weideten das Vieh. Wo immer sie waren, entweder sie waren vor dem Grollen in Sicherheit, oder sie waren schon davon überrollt worden.
    – Komm!, sagte sie wieder und zog mich mit. Wir rannten. Ich hielt ihre Hand, fiel aber dennoch zurück. Sie verlangsamte ihre Schritte und zog mich am Arm hoch. Sie schüttelte mich durch, warf mich schließlich über ihre Schulter und rannte weiter. Ich hielt die Luft an und hoffte, sie würde stehen bleiben. Und erst jetzt, als ich über ihre Schulter hing, sah ich, was sie gesehen hatte.
    Es sah aus wie der Schatten, den eine lang gezogene Wolke wirft. Das Grollen kam von Pferden. Jetzt sah ich sie, Männer auf Pferden, die Finsternis über das Land brachten. Wir wurden langsamer, und meine Mutter sagte wieder etwas.
    – Wo versteckst du dich?, hauchte sie.
    – Kommt mit in den Wald, sagte eine Frauenstimme.
    Ich wurde auf den Boden gestellt.
    – Versteckt euch im Gras, sagte die Frau. – Von da können wir nach Palang laufen.
    Wir kauerten im Gras neben der Frau, die uralt war und nach Fleisch roch. Ich erkannte, dass wir auf dem Weg zum Fluss waren, ganz in der Nähe lag der Hof meiner Tante. Wir waren gut versteckt, im Schatten und mitten in einem dichten Gestrüpp. Von unserem Versteck aus sahen wir zu, wie der Sturm über das Dorf hereinbrach. Alles war Staub. Auf manchen Pferden saßen zwei Männer. Sie ritten Kamele, zogen Karren hinter sich her. Ich hörte Gewehrfeuer hinter uns. Pferde preschten rechts und links von uns durchs Gras. Sie kamen von allen Seiten, strömten in der Mitte des Ortes zusammen. So stürmten die Murahilin ein Dorf, Michael. Sie umzingelten es und zerquetschten dann alles, was darin war.
    – Letztes Mal waren es bloß zwanzig, sagte die Frau.
    Jetzt waren es mindestens zweihundert, dreihundert oder noch mehr.
    – Das ist das Ende, sagte meine Mutter. – Sie wollen uns alle töten. Achak, es tut mir so leid. Aber wir werden den Tag nicht überleben.
    – Nein, nein, schimpfte die Frau. – Die wollen das Vieh. Das Vieh und Nahrungsmittel. Dann verschwinden sie wieder. Wir bleiben einfach hier.
    In dem Moment begann die Schießerei. Die Gewehre sahen so aus wie die der Regierungssoldaten, wuchtig und schwarz. Der Himmel wurde von Gewehrfeuer zerrissen.
    Das Popp-popp-popp kam aus jeder Ecke des Dorfes.
    – Oh Gott. Oh Gott.
    Jetzt weinte die Frau.
    – Psst!, sagte meine Mutter, tastete nach der Hand der Frau und fand sie schließlich. Dann versuchte sie die Frau leise zu beruhigen. – Schschsch.
    Ein Pferd mit zwei Männern darauf galoppierte an uns vorbei. Der zweite Mann ritt rückwärts und schwenkte sein Gewehr von rechts nach links.
    – Allah Akhbar!, schrie er.
    Ein Dutzend Stimmen antworteten ihm.
    – Allah Akhbar!
    Ein Mann entzündete eine Fackel und warf sie auf das Dach des Hospitals. Ein anderer Mann, der ein großes schwarzes Pferd ritt, machte irgendeine kleine, rundliche Waffe fertig und warf sie in die Episkopalkirche. Eine Explosion zersplitterte die Wände und zerstörte das Dach.
    Als ich daran dachte, Ausschau nach Amath zu halten, sah ich, wie die Reiter ihre Hütte einkreisten. Vier Pferde trugen sechs Männer. Sie bewachten die Hütte von allen Seiten und warfen dann eine Fackel. Das Dach glimmte kurz auf und wurde dann schwarz. Schließlich brach das Feuer aus, sprang zuerst hoch, um gleich darauf nach unten zu kriechen. Brauner Rauch quoll hervor. Eine Gestalt tauchte auf, ein junger Mann, die Hände kapitulierend erhoben. Um den Hof herum knallten Gewehre, und die Brust des Mannes zerbarst in Rot. Er

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