Weit Gegangen: Roman (German Edition)
weggelaufen?
– Ja, sagte ich.
– Vielleicht geht’s ihr ja gut. Bestimmt. Ist sie schnell?
Ich sagte nichts.
– Na ja, komm einfach mit, mein Sohn. Mal sehen, was wir rausfinden.
Die Sonne ging auf, während wir gingen, und stand schon hoch und klein am Himmel, als Dut auf einen Baum kletterte und mich hochzog. Von dort konnten wir in der Ferne die Lichtung von Marial Bai sehen. Drum herum war alles Staub.
– Okay. Sie sind noch da, sagte er. – Das da sind ihre Pferde und das Vieh, das sie gestohlen haben. Wo du Staub siehst, Achak, da sind die Murahilin. Wir werden eine ganze Weile nicht zurück in den Ort können. Morgen sehen wir wieder nach. Komm mit.
Ich kletterte hinter Dut den Baum hinunter und folgte ihm zurück in Richtung des Feuers, an dem wir geschlafen hatten. Wir waren etwa eine Stunde unterwegs, als Dut stehen blieb, sich fragend umschaute und dann unvermittelt eine völlig andere Richtung einschlug. Den ganzen Nachmittag über blieb er immer wieder stehen und schien im Kopf und mit beiden Händen irgendwelche Berechnungen anzustellen. Jedes Mal, wenn er mit seinen Berechnungen fertig war, wirkte er entschlossen und marschierte los, folgte voller Zuversicht dem neuen Kurs, während ich hinterdrein trottete. Dann, nachdem wir eine Weile im schwächer werdenden Licht unterwegs waren, begann das Ganze von vorn. Er blieb stehen, blickte zur Sonne, schaute sich um, machte seine Berechnungen mit den Händen und entschied sich für einen neuen Weg.
Die Sonne war schon untergegangen, als wir das Lager erreichten.
– Wo wart ihr zwei denn?, fragte die stillende Mutter.
– Ihr seid frühmorgens aufgebrochen!, lachte Jok.
Dut ging nicht darauf ein. – Die Baggara sind noch da, sagte er. – Morgen sehen wir wieder nach.
– Ihr habt euch verlaufen, sagte die Frau. – Du bist ein gebildeter Mann, aber du hast keinen Orientierungssinn!
Er tat das erbost ab. – Wo ist das Essen, Maria? Wie lange müssen wir warten? Gebt uns etwas zu essen und Wasser. Wir waren schließlich den ganzen Tag unterwegs.
In dieser Nacht schlief ich zusammen mit den Männern und Frauen unter einem Schutzdach, das sie gebaut hatten. In den frühen Morgenstunden hörte ich Laute wie die, die ich aus dem Haus meiner Stiefmutter gehört hatte, wenn mein Vater seine Nächte dort verbrachte. Ich hielt die Augen geschlossen und meinen Körper nah am Feuer. Kurz darauf, so kam es mir zumindest vor, wurde ich geweckt, der Himmel war schwach erhellt. Ich öffnete die Augen und blickte direkt in das Gesicht eines der alten Männer in der Gruppe, der zuvor nicht gesprochen hatte.
– Wir müssen jetzt aufstehen, Junge. Wie heißt du noch mal? Du bist der Sohn des verstorbenen Deng Nyibek Arou, Friede seiner Seele.
Die Stimme dieses Mannes war federleicht und zittrig.
– Achak, sagte ich.
– Verzeihung, Achak. Ich hätte es mir merken sollen.
Wir haben jetzt einen Plan. Du kommst mit uns. Wir tun uns mit einer anderen Gruppe zusammen, die letzte Nacht ganz in der Nähe geschlafen hat. Komm mit.
– Wo ist Dut?
– Er ist weggegangen. Das macht er schon mal. Komm mit.
Der zittrige Mann führte mich zu einer Lichtung, auf der sich eine Gruppe von etwa hundert Leuten versammelt hatte, Frauen und Kinder und alte Männer, inmitten einer bunten Mischung von Vieh – Ziegen, Hühner, über vierzig Kühe.
– Wir gehen nach Khartoum, sagte er.
Ich war sehr jung, Michael, aber selbst ich wusste, dass diese Idee der helle Wahnsinn war.
– Kommt Dut mit?, fragte ich.
– Dut ist fort. Dut würde die Idee nicht gefallen, aber Dut findet nicht mal aus seiner eigenen Hütte raus. Bei uns bist du sicherer.
– In Khartoum?
Ich dachte an den Mann ohne Hand.
– Da werden wir in Sicherheit sein, sagte die stillende Frau. – Komm mit uns. Du kannst mein Sohn sein.
Ich wollte nicht ihr Sohn sein.
– Aber warum denn nach Khartoum?, fragte ich. – Zu den Arabern? Wieso?
– Es sind schon viele Menschen nach Khartoum gegangen, sagte der alte Mann mit seiner federleichten Stimme. – Der Weg ist allen bekannt. Dort werden wir vor den Murahilin in Sicherheit sein. In den Lagern kriegen wir zu essen. Dort gibt es sichere Zufluchtsorte für Menschen wie uns, Menschen, die nicht kämpfen wollen. Wir werden dort bleiben, bis das alles hier vorbei ist.
Mir blieb keine andere Wahl als mit ihnen zu gehen. Ich hielt nicht viel von ihrem Plan, aber meine Beine schmerzten nach dem vielen Laufen zwei Nächte zuvor, und ich war froh,
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