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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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und danach purzelten die Stunden der Nacht übereinander, formlos und chaotisch. Meine Augen sahen, was sie sahen, und meine Ohren hörten meinen Atem und die Geräusche, die lauter alsmeinAtemwaren. Währendich rannte, überkamen mich in rascher Folge Gedanken, und in den Augenblicken dazwischen füllte ich meinen Kopf mit Gebeten. Behüte mich, Gott. Behüte mich, Gott meiner Ahnen. Sei still. Was ist das für ein Licht? Das Licht eines Dorfes? Nein. Bleib jetzt stehen. Da ist kein Licht. Zum Teufel mit deinen Augen! Zum Teufel mit deinem Atem! Still. Still. Gott, der du mein Volk bewahrst, ich flehe dich an, vertreibe die Murahilin. Still. Hinsetzen. Leise atmen. Leise atmen. Behüte mich, Gott, behüte meine Familie auf der Flucht. Du brauchst Wasser. Warte auf den Morgentau. Schlürfe Wasser von Blättern. Du musst schlafen. Oh Gott des Himmels, behüte mich heute Nacht. Halte mich verborgen, halte mich still. Weiterlaufen. Nein. Nein. Doch, lauf. Du musst zu Menschen laufen. Du musst laufen, Menschen finden, dann ausruhen. Jetzt laufen. Oh Gott des Regens, lass mich Wasser finden. Lass mich nicht verdursten. Still. Still. Oh Gott der Seele, warum tust du das? Ich habe doch nichts Böses getan. Ich bin bloß ein Junge. Bloß ein Junge. Würdest du das einem Lamm antun? Das ist ungerecht. Über Baumstamm springen. Ah! Schmerz. Was war das? Halt. Nein, nein. Immerzu laufen. Weiterlaufen. Ist das der Mond? Was ist das für ein Licht? Meine Ahnen! Nguet, Ariath Makuei, Jokluel, hört mich. Arou Aguet, höre mich. Jokmathiang, höre mich. Hört mich und erbarmt euch dieses Jungen. Hört Achak Deng und erlöst ihn. Ist das der Mond? Wo ist das Licht?
    Mein eigener Atem war zu laut, jedes Luftholen ein gewaltiger Wind, ein stürzender Baum. Ich war mir meiner Atemzüge bewusst, wusste, wie laut sie waren, wenn ich rannte und wenn ich im Gras saß und wartete und um mich spähte. Ich hielt die Luft an, um das Geräusch zu unterdrücken, doch wenn ich den Mund wieder öffnete, war mein Atmen nur noch lauter. Es füllte meine Ohren und die Luft um mich herum, und ich war sicher, dass dies mein Ende bedeutete. Als mein Atem ruhiger wurde, und ich andere Laute hören konnte, vernahm ich bald eine Stimme, eine Dinka-Stimme, die ein Dinka-Lied sang.
    Ich folgte dem Gesang.
    Es war ein alter Mann, der da mit dünner, heiserer Stimme sang. Ich wurde nicht langsamer, als ich ihn erreichte, tauchte wie ein Tier aus dem Wald auf und rannte ihn fast über den Haufen.
    Er kreischte auf. Ich kreischte auf. Er sah, dass ich ein kleiner Junge war, und hielt sich das Herz.
    – Oh, hast du mich erschreckt!
    Der Mann keuchte jetzt. Ich bat um Verzeihung.
    – Das Rascheln im Gras klang wie eine Hyäne, Kind!
    – Es tut mir sehr leid, Vater, sagte ich.
    – Ich bin ein alter Mann. Ich verkrafte so etwas nicht.
    – Es tut mir leid, wiederholte ich. – Sehr leid.
    – Wenn ein Tier durch den Busch käme, müsste es mich bloß anhauchen, und schon wäre ich auf dem Weg in die nächste Welt. Ach, mein Junge!
    Ich erzählte ihm, wo ich gewesen war und was ich gesehen hatte. Der Mann sagte, er würde mich mit zu sich nach Hause nehmen, wo ich bis Tagesanbruch in Sicherheit wäre, und dann würden wir überlegen, was als Nächstes geschehen sollte.
    Wir gingen los, und während wir gingen, wartete ich darauf, dass mir Essen und Wasser angeboten wurden. Ich brauchte beides, hatte seit dem Morgen nichts gegessen und getrunken, hatte aber gelernt, niemals um etwas zu betteln. Jetzt wartete ich, dachte, dass der alte Mann mir eine Mahlzeit anbieten würde, weil ich ein kleiner Junge und mitten in der Nacht allein unterwegs war. Aber der Mann sang bloß leise und ging langsam den Weg entlang. Schließlich sprach er.
    – Es ist lange her, dass die Löwenmenschen hierhergekommen sind. Da war ich noch sehr jung. Waren sie zu Pferd?
    Ich nickte.
    – Ja. Das sind Araber, die auf eine Stufe mit den Tieren herabgesunken sind. Sie sind wie der Löwe mit seinem Appetit auf rohes Fleisch. Das sind keine Menschen. Diese Löwenwesen lieben Krieg und Blut. Sie versklaven Menschen, und das ist gegen das Gesetz Gottes. Sie sind in Tiere verwandelt worden.
    Der Mann ging eine Zeit lang schweigend weiter.
    – Ich glaube, Gott sendet uns durch diese Löwenmenschen eine Botschaft. Das ist klar. Wir werden von Gott bestraft. Jetzt müssen wir herausfinden, warum Gott zornig ist. Das ist das Rätsel.
    Ich wusste nicht, wohin mich der alte Mann führte, doch nach

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