Weit Gegangen: Roman (German Edition)
unter so vielen Menschen und nicht allein zu sein. Der dumpfe Geruch der Tiere tat mir wohl, und während wir gingen, hatte ich immer eine Hand auf einer ihrer Hinterbacken. Wir wanderten bis mittags, flüsterten, wenn nötig, versuchten, die Gegend ungesehen mit dem Vieh zu verlassen. Jok, der Anführer unserer Gruppe, war der Meinung, wenn wir erst über den Fluss und etwas weiter nördlich wären, hätten wir sicheres Gebiet erreicht. Es war eine sehr seltsame Strategie.
Bald begegnete uns ein Mann in der orangenen Uniform von Manyok Bols Miliz. Er betrachtete uns fassungslos.
– Wer seid ihr Leute? Wo wollt ihr hin?
– Nach Khartoum, sagte der alte Mann.
Daraufhin trat der Mann in Orange vor uns und verstellte uns den Weg.
– Seid ihr wahnsinnig? Wie wollt ihr denn mit vierzig Kühen bis Khartoum kommen? Wer hat sich das ausgedacht? Ihr werdet alle getötet. Nicht weit von hier sind Murahilin. Denen lauft ihr direkt in die Arme.
Der alte Mann schüttelte bedächtig den Kopf.
– Du bist derjenige, der Angst haben muss, sagte er. – Du hast ein Gewehr. Wir sind unbewaffnet. Uns werden sie nichts tun. Wir haben nichts mit dir zu schaffen.
– Gott steh euch bei, sagte der Mann in Orange.
– Ich glaube, das wird er, sagte der alte Mann.
Leise vor sich hin murmelnd entfernte der Mann in Orange sich und ging in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Unsere Gruppe bewegte sich einen Moment lang weiter den Pfad entlang, bis von hinten laut die Stimme des Soldaten ertönte.
– In hundert Metern werdet ihr sie sehen. Hundert Meter entfernt von der Stelle, wo ihr jetzt steht, werdet ihr sterben.
Sofort blieb die Gruppe mit dem Vieh stehen, und die Alten begannen zu debattieren. Einige waren der Auffassung, dass wir unbehelligt bleiben würden, wenn wir friedlich vorbeizogen, dass es in Marial Bai nur deshalb Probleme gegeben habe, weil der Ort Kontakte zur SPLA hatte. Wenn unsere Gruppe sich von den Rebellen distanzierte und erklärte, dass wir nach Khartoum wollten, würde man uns passieren lassen. Andere hielten das für sinnlos, da die Murahilin weder der Regierung zur Treue verpflichtet waren noch einen Groll gegen die SPLA hegten – sie waren nur auf Vieh und Kinder aus. Die ganze Gruppe stand eine Weile auf dem Pfad herum, während die Alten debattierten und das Vieh graste, bis der Disput schließlich durch das Donnern von Hufen und einen näher kommenden Staubschleier beendet wurde.
Sekunden später fielen die Murahilin über uns her.
Die Gruppe zerstob in alle Richtungen. Ich folgte dem Mann, der am schnellsten aussah, als er ins Gras hechtete, unter ein dichtes Gebüsch robbte und sich hinter dicken Ästen und Zweigen verbarg. Der Mann neben mir war älter als mein Vater, sehr dünn, und auf seinen Armen standen die Adern deutlich hervor. Er trug einen großen weichen Hut, der seine Augen beschirmte.
– Armee, sagte der Hutmann und deutete mit dem Kinn auf die berittenen Männer. Es waren sieben Reiter, vier in traditioneller Baggara-Kleidung, drei in der Uniform der sudanesischen Armee. – Das verstehe ich nicht, sagte er.
Ein Großteil unserer Gruppe war mit dem Vieh auf dem Pfad geblieben und wurde jetzt von zwei uniformierten Soldaten bewacht. Die Gruppe stand schweigend da. Einen langen Augenblick lang sah es so aus, als würde gar nichts passieren. Vielleicht auch nur, weil alle Beteiligten darauf warteten, dass etwas passierte. Und dann passierte es. Einer der alten Männer rannte plötzlich in den Wald, schwerfällig und viel zu langsam. Zwei Soldaten sprangen von ihren Pferden und liefen lachend hinter ihm her. Schüsse fielen, und die Männer kehrten ohne den alten Mann zurück.
Einer der Regierungssoldaten drehte sich um und schien mich und den Hutmann direkt anzusehen. Wieder war mein Atem zu laut, meine Augen zu groß. Wir zogen beide den Kopf ein.
– Die sehen uns. Nichts wie weg, flüsterte ich.
Ohne Vorwarnung stand der Hutmann auf und hob kapitulierend die Arme.
– Komm her, abeed!, sagte der Soldat, der das arabische Wort für Sklave benutzte. Der Hutmann ging auf sie zu. Ich sah den Rücken des Mannes und die zwischen den Pferden zusammengetriebenen Kinder, Frauen und Tiere. Ich dachte an Amath und daran, wie sie dagestanden und ihr Schicksal hingenommen hatte, und auf einmal wurde ich wütend. Ich hätte mich in diesem Moment nicht bewegen sollen, aber meine Wut übermannte mich. Verdammt sollt ihr sein , dachte ich und rannte los. Ich drehte mich um und
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