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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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nächsten Wäldchen sah ich eine große Akazie, wie die, die ich mit William K und Moses geteilt hatte, und zwischen ihren Wurzeln entdeckte ich ein Loch, und in dieses Loch kroch ich und blieb darin liegen und lauschte auf meinen Atem. Ich war jetzt Experte darin, Löcher zum Schlafen zu finden. Der Dreck soll verdammt sein und die Würmer sollen verdammt sein und die Käfer sollen verdammt sein und die Moskitos sollen verdammt sein. Ich hatte mich nicht umgesehen, während ich rannte, und war mir nicht sicher, ob mich irgendwer verfolgte. Ich spähte aus der Dunkelheit des Lochs und sah nichts und hörte nichts, und bald senkten sich die schwarzen Flügel der Nacht herab, und ich war in der Finsternis, in dem Baum, nur mit meinen Augen und meinem Atem. In der Nacht erfüllten die Laute der Tiere die Luft, und ich stopfte mir kleine Steine in die Ohren, um die Laute auszublenden. Du Wald sollst verdammt sein und ihr Tiere sollt verdammt sein, jedes einzelne von euch.
    Am Morgen erwachte ich und schüttelte die Steinchen aus meinem Kopf und stand auf und ging und rannte, und wenn ich ein Geräusch hörte oder eine Gestalt in der Ferne sah, kroch ich. Eine Woche oder länger rannte ich und kroch ich und ging ich. Ich begegnete Menschen meines Stammes und fragte sie, wo es nach Marial Bai ging. Manchmal wussten sie es, und oft wussten sie nichts. Ihr richtungslosen, hilflosen Menschen, verdammt sollt ihr sein. Manche Menschen, denen ich begegnete, waren aus der Gegend, andere kamen aus dem Norden, manche aus dem Süden. Alle waren in Bewegung. Wenn ich auf ein Dorf oder eine Siedlung stieß, hielt ich dort an und bat um Wasser, und sie sagten: »Hier bist du sicher, Junge, jetzt bist du sicher«, und dann schlief ich dort und wusste, dass ich nicht sicher war. Die Pferde und Gewehre und Hubschrauber kamen immer wieder. Ich fand keinen Ausweg aus diesem Ring, diesem Kreis, in dessen Mitte wir zerquetscht wurden, und keiner wusste, wann das Ende kommen würde. Ich blieb kurz bei einer alten Frau, der ältesten Frau, die ich je gesehen hatte, und sie saß da und kochte zusammen mit ihrer Enkelin, so alt wie ich, und die alte Frau sagte, das sei das Ende, das Ende sei nah, und ich solle einfach still sitzen, mit ihnen zusammen, und abwarten. Das sei das Ende der Dinka, sagte sie mit heiserer und schilfrohrdünner Stimme, aber wenn das der Wille der Götter und der Erde sei, dann sei es eben so. Ich nickte zu dem, was die Großmutter sagte, und schlief in ihren Armen, aber am Morgen verließ ich sie und rannte weiter. Ich rannte an Dörfern vorbei, die gewesen waren und jetzt nicht mehr waren, rannte an Bussen vorbei, die gebrannt hatten, während Hände und Gesichter an die Scheiben gepresst wurden. Ihr alle sollt verdammt sein. Die Lebenden verdammt, die Toten verdammt.
    Im ersten Licht der Morgendämmerung rannte ich an einem Flugplatz vorbei, auf dem ich ein kleines weißes Flugzeug sah und eine Familie und einen Mann, der als ihr Repräsentant auftrat. Er trug ein seltsames Kleidungsstück, einen Anzug, wie ich später lernen sollte, und er hielt eine kleine schwarze Aktentasche in der Hand. Wenige Schritte hinter ihm war die Familie – ein Mann, eine Frau und ein fünfjähriges Mädchen, alle gut gekleidet, die Frau und das Kind saßen auf einem großen Koffer. Der Mann im Anzug, der Repräsentant, sprach aufgeregt auf den Piloten des Flugzeugs ein, der, wie ich sehen konnte, ein sehr kleiner Mann war, mit einer sehr viel helleren Haut als unsere.
    – Das sind wichtige Leute!, sagte der Repräsentant.
    Den Piloten beeindruckte das nicht.
    – Dieser Mann ist Parlamentsmitglied!, sagte der Repräsentant.
    Der Pilot kletterte ins Cockpit.
    – Sie müssen sie mitnehmen!, schrie der Repräsentant.
    Aber der Pilot nahm sie nicht mit. Er flog los, die Sonne im Rücken, und die Familie und ihr Repräsentant blieben auf dem Flugplatz zurück. Niemand war wichtig genug, um vor dem Krieg wegzufliegen, nicht in dieser Zeit.
    Ich rannte weiter.

X.
    Michael ist wach und unternehmungslustig. Er denkt, er hat mich endgültig außer Gefecht gesetzt, und traut sich jetzt, in der Wohnung herumzustöbern. Er ist an mir vorbei zum Badezimmer gegangen, und als er dort fertig war, hörte ich das Quietschen von Achor Achors Schlafzimmertür. Ich weiß nicht, was Michael dort will, aber der Raum, in dem Achor Achor schläft, hat nicht viel Interessantes zu bieten. Er hat zwei Bilder aufgehängt: ein Poster von Jesus, der eine Bibelstunde

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