Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
Vom Netzwerk:
zu zeigen? Vor uns hörten wir aufgeregte Jungenstimmen. Wir folgten den Stimmen, und der blaue Hund kam uns zögernd nach.
    Wie sich herausstellte, war der blaue Hund gar nicht weit von zu Hause entfernt. Die Bäume hier kamen mir bekannt vor. Und dann wurde uns klar, dass es das glückliche Dorf war. Wir waren im Kreis marschiert; wir waren viele Tage lang praktisch zurückgegangen, und jetzt waren wir wieder in dem belebten Dorf, das wir vor nicht allzu langer Zeit gesehen hatten, das Dorf, wo die Jungen mit den neuen weißen Schuhen uns verspottet, wo die Frauen uns zu essen gegeben und dann weiter geschickt hatten. Sie hatten die Bedrohung durch die Murahilin geleugnet, und jetzt waren sie nicht mehr da. Wo das Dorf gewesen war, war nichts. Die Hütten waren in den Himmel gehoben worden. An den Stellen, wo sie gestanden hatten, waren nur noch schwarze Ringe zu sehen. Alles war vollkommen ausgelöscht.
    Und dann sah ich die Leichen. Arme und Köpfe in den Büschen, in den Überresten von Hütten. Und weiter hinten kaute der blaue Hund an irgendetwas. Da wussten wir, wieso er so rund geworden war.
    Aus dem hohen Gras kam eine Frau auf uns zugelaufen. In einem Tuch, das sie um den Oberkörper geschlungen hatte, trug sie ein Baby. Als sie näher kam, wurden aus dem Baby zwei Babys, Zwillinge, und die Frau fing an, haltlos zu schluchzen und zu schreien. Ihre Hand war mit einem rosafarbenen Lappen umwickelt. Er war blutgetränkt. Jetzt waren unsere Jungen überall im Dorf, inspizierten die Verwüstung, berührten Dinge, die ich nie berühren würde.
    – Kommt sofort zurück!, brüllte Dut.
    Aber er konnte die Neugier der Jungen nicht zügeln. Nicht alle von ihnen hatten die Murahilin, oder was diese anrichteten, mit eigenen Augen gesehen. Sie verteilten sich, manche fanden sogar noch etwas zu essen, was sie sofort vertilgten, und während sie weiter ins Dorf vordrangen, tauchten die ersten Überlebenden aus ihren Verstecken auf: Frauen, alte Männer, noch mehr Jungen. Die Frau mit den zwei Babys im Tragetuch konnte nicht aufhören zu jammern, und Kur setzte sich mit ihr hin und versuchte, sie zu beruhigen. Ich setzte mich auch, drehte mich aber weg von der Frau und den Frauen, die nachkamen. Ich steckte die Finger in die Ohren. Ich wusste schon alles, und ich war müde.
    Wir verbrachten die Nacht dort. Es gab noch immer etwas zu essen im Dorf, und wir einigten uns darauf, dass wir hier am sichersten waren, weil das Dorf Ziel des letzten Überfalls gewesen war. Während wir lagerten, kamen noch mehr Menschen aus dem Wald und dem Gras. Sie unterhielten sich mit Dut und tauschten Informationen aus, und als wir das Dorf am Morgen verließen, kamen achtzehn neue Jungen mit. Es waren sehr stille Jungen, und keiner von ihnen trug wolkenweiße Schuhe.
    – Mein Bauch tut weh, sagte Deng. – Achak.
    – Ja.
    – Tut dein Bauch auch so weh wie meiner? Als wär da was drin, was sich bewegt? Hast du das auch?
    Es war viele Tage später, und ich hatte keine Geduld für so was. Jedem tat der Bauch weh. Bei jedem war der Bauch hart und rund geworden, und wir gewöhnten uns an die Hungerschmerzen. Ich sagte etwas in dieser Art, weil ich hoffte, es würde Dengs Angst lindern und ihn beruhigen.
    – Aber das ist ein neuer Schmerz, sagte Deng. – Er sitzt tiefer als vorher. Als würde mich jemand kneifen, stechen.
    Es fiel mir schwer, Mitgefühl für Deng aufzubringen. Ich war selbst hungrig. Mein eigener Hunger kam und ging, und wenn er mich erfasste, spürte ich ihn überall. Ich spürte ihn in Bauch und Brust und Armen und Schenkeln.
    – Ich vermisse meine Mutter, sagte Deng.
    – Ich will nach Hause, sagte er.
    – Ich kann nicht mehr gehen, sagte er.
    Ich ging weiter nach vorne, damit ich mir Dengs Gejammer nicht länger anhören musste. Die meisten von uns blieben stoisch, sahen ein, dass Klagen sinnlos waren. Dengs Verhalten war ein Verstoß gegen die Art, wie wir marschierten.
    Eine Explosion erfüllte den Nachmittagshimmel. Wir blieben stehen. Wieder ertönte das Geräusch, und diesmal war klar, dass es ein Gewehr war. Wieder und wieder krachte es, fünf Mal. Dut ließ die Gruppe anhalten und lauschte.
    – Hinsetzen. Setzt euch hin und wartet, sagte er.
    Er rannte vor. Als er zurückkam, grinste er.
    – Die haben einen Elefanten erlegt. Kommt schnell!
    Heute bekommt jeder Fleisch zu essen.
    Wir rannten los. Nicht alle hatten Dut richtig verstanden, aber sie hatten das Wort Fleisch gehört. Wir rannten hinter Dut und Kur

Weitere Kostenlose Bücher