Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Garang Kur her.
Ich rannte, und der Boden unter meinen Füßen flog dahin, weil ich so schnell rannte, über Steine und Büsche sprang. Wir alle rannten, lachende Jungen. Es war Wochen her, dass wir Fleisch gegessen hatten. Ich war froh, aber während ich lief, focht ich einen inneren Kampf. Ich war so hungrig, dass der Hunger mich überall durchbohrte, aber in meinem Clan war der Elefant heilig. In Marial Bai hätte niemand auch nur im Traum daran gedacht, einen Elefanten zu töten, geschweige denn zu essen, aber ich rannte trotzdem weiter zu dem Tier. Keiner der anderen Jungen schien zu zögern. Sie rannten, als wären sie nicht krank, als wären sie nicht schon ewig unterwegs. In dem Moment waren wir keine sterbenden Jungen, keine Jungen auf der Flucht. Wir waren hungrige Jungen, die sich gleich an frischem Fleisch satt essen würden.
Als wir näher kamen, sahen wir einen großen grauen Berg, und überall um den Berg herum waren Jungen. Hunderte von Jungen, dicht um den Elefanten gedrängt. Ein Junge zerrte an dem Ohr des Elefanten. Er war auf den Kopf des Tieres geklettert und riss das Elefantenohr vom Schädel. Ein anderer stand neben dem Elefanten, ihm fehlten eine Hand und der halbe Unterarm, und seine Schulter war rot von Blut. Plötzlich war die Hand des Jungen wieder da, aber sie war völlig mit Blut bedeckt. Sie war im Innern des Elefanten gewesen. Er hatte sie an der Stelle hineingeschoben, wo eine Kugel ein Loch gebohrt hatte. Er hatte alles Fleisch herausgezogen, das er fassen konnte, und aß es jetzt roh, während ihm das Blut des Tieres vom Gesicht tropfte.
In der Nähe des Elefanten standen zwei Männer in Uniform, mit Gewehren bewaffnet. Während die Jungen sich auf das Tier stürzten, betrachtete ich die Männer.
– Wer ist das?, fragte ich Kur.
– Das ist deine Armee, sagte er. – Das ist die Hoffnung der Dinka.
Ich sah zu, wie Dut und Kur und einer der Soldaten dabei halfen, die Elefantenhaut zu durchtrennen. Sie machten einen langen Schnitt oben auf dem Elefanten, und dann klappten die Jungen, zehn auf einmal, die Haut zurück, zerrten an ihr, zogen sie bis zum Boden. Darunter war der Elefant so rot wie eine Brandwunde. Die Jungen sprangen vor, bissen und rissen an dem Fleisch, und wenn sie einen Fetzen ergattert hatten, liefen sie davon wie Hyänen, um unter den Bäumen darauf herumzukauen.
Manche Jungen aßen auf der Stelle. Andere waren unschlüssig, ob sie das Fleisch nicht lieber braten sollten. Es war Morgen, und viele Jungen wussten nicht, wie lange sie bei dem Elefanten bleiben durften und ob man ihnen erlauben würde, Fleisch mitzunehmen.
Die SPLA-Soldaten hatten ein großes Feuer gemacht. Dut befahl fünf Jungen, Holz zu sammeln, um die Flammen in Gang zu halten. Auf der anderen Seite des Elefanten machte Kur ein zweites Feuer, und diejenigen von uns, die ihr Fleisch noch nicht gegessen hatten, begannen, es an Stöcken zu braten.
Die Soldaten freute es, uns essen zu sehen, und sie unterhielten sich freundlich mit uns. Ich setzte mich neben Deng und sah ihm beim Essen zu. Es tat so gut, Deng essen zu sehen, obwohl er aß, ohne zu lächeln, und ihm das Fleisch nicht so gut schmeckte wie den anderen. Seine Augen waren gelb gerändert, seine Lippen rissig und weiß gefleckt. Aber er aß so viel er konnte. Er aß, bis er nicht mehr essen konnte.
Erst als wir mit Essen fertig waren, begannen wir, uns für die Gruppe von Rebellen zu interessieren, die unter einem großen Wüstendattelbaum saßen. Wir bauten uns rund um die Männer auf und starrten sie an.
Dut ging rasch dazwischen.
– Lasst ihnen Platz zum Atmen, Jungs! Ihr seid ja wie Moskitos.
Wir traten ein paar Schritte zurück und schoben uns dann langsam wieder näher. Die Männer schmunzelten, genossen die Aufmerksamkeit.
– Wir hatten ein paar Probleme in Gok Arol Kachuol, sagte Dut.
– Was für Probleme?, fragte einer der Rebellen.
Dut schob einen der verletzten Jungen nach vorne. Er war von einem Speer am Bein verwundet worden.
– Wer war das?, wollte der Rebell wissen.
Er hieß Mawein, und plötzlich war er wütend aufgesprungen. Dut erklärte, was passiert war, dass wir friedlich in das Dorf gekommen waren, dort nichts zu essen bekommen hatten und dann von Speere schleudernden Männern davongejagt worden sind. Die gestohlenen Nüsse ließ er aus, und keiner der Jungen hielt es für nötig, es zu erwähnen. Wir empfanden Stolz und waren gespannt, was als Nächstes passieren würde, als wir sahen, wie
Weitere Kostenlose Bücher