Weit Gegangen: Roman (German Edition)
den letzten zwanzig Jahren Sklaverei gegeben hat, sie beteuert, dass die Menschen des Südsudan sich dafür entschieden haben, als unbezahlte und geprügelte und vergewaltigte Diener in arabischen Haushalten zu leben. Und dabei bedeutet das arabische Wort, das zu viele Araber für die Südsudanesen verwenden, nichts anderes als Sklave.
Es ist beinahe schon komisch. Die Führung behauptet das tatsächlich. Und sie hat andere überzeugen können. Stammesfehden seien typisch für diese Region, eine Art kulturelle Praxis, sagt sie. Ein amerikanischer Diplomat, der in den Sudan gesandt wurde, um die Verbreitung der Sklaverei zu untersuchen, kam mit diesem Eindruck zurück. Khartoum hatte ihm etwas vorgemacht, und er hätte wissen müssen, dass man ihm etwas vormachte. Ich habe die Sklaven mit eigenen Augen gesehen. Ich habe gesehen, wie sie verschleppt wurden – beim zweiten Überfall haben sie die Zwillinge Ahok und Awach Ugieth mitgenommen – und Freunde von mir haben das ebenfalls gesehen. Wenn Dörfer heute versuchen, ehemalige Sklaven, Kinder und Frauen, wieder aufzunehmen, gibt es Probleme. Manche Frauen waren noch so klein, als sie verschleppt wurden, sechs oder sieben Jahre alt, dass sie sich überhaupt nicht mehr an ihre Heimat erinnern. Jetzt sind sie achtzehn, neunzehn, und weil sie so jung waren, als sie verschleppt wurden, sprechen sie kein Dinka mehr, nur noch Arabisch, und unsere Sitten und Gebräuche sind ihnen fremd. Und viele Frauen haben Kinder von ihren Entführern im Norden, und wenn sie von Sklavereigegnern entdeckt und befreit werden, müssen sie diese Kinder zurücklassen. Das Leben dieser Frauen ist sehr schwer, auch wenn sie in ihre Heimat zurückgekehrt sind.
Es ist kriminell, dass das alles geschehen ist, dass es zugelassen wurde.
In einem Anfall von Wut trete ich wieder und wieder auf den Boden, winde meinen Körper wie ein Fisch auf dem Trockenen. Hört mich, christliche Nachbarn! Hört euren Bruder von oben!
Wieder nichts. Niemand bekommt etwas mit. Niemand achtet auf die Tritte eines Mannes von oben. Das hätte ich nicht erwartet. Ihr habt keine Ohren für jemanden wie mich.
XII.
In den ersten hoffnungsvollen Wochen unseres Marsches erreichten wir eines Nachmittags ein Dorf namens Gok Arol Kachuol. Am Rande des Dorfes versammelten sich die Frauen entlang des Weges, um sich unsere Gruppe anzuschauen, die inzwischen aus über zweihundertfünfzig Jungen bestand.
– Seht, wie krank die sind, sagten die Frauen, während wir an ihnen vorbeizogen.
– Was für große Köpfe sie haben! Wie Eier auf den Spitzen von dünnen Zweigen!
Die Frauen lachten schrill und schlugen die Hand vor den Mund.
– Jetzt weiß ich es, sagte eine andere, eine ältere Frau, so alt und gekrümmt wie eine Akazie. – Sie sehen aus wie Löffel. Sie sehen aus wie Löffel auf zwei Beinen.
Und die Frauen kicherten und zeigten unentwegt auf uns, vor allem auf die Jungen, die besonders seltsam oder hoffnungslos aussahen.
Sobald die Ersten von uns das Dorf betraten, wussten wir, dass wir nicht willkommen waren. – Keine Rebellen hier, sagte der Häuptling, der uns rasch entgegentrat. – Nein, nein, nein! Geht weiter. Nicht stehen bleiben. Verschwindet.
Der Häuptling hatte eine Pfeife im Mund und versperrte uns den Zugang ins Dorf mit den Armen, wedelte mit den Händen, als würde uns der Luftzug, den er erzeugte, irgendwo anders hinwehen.
Dut trat vor und sprach mit einer Bestimmtheit, die ich noch nicht bei ihm gehört hatte.
– Wir müssen uns ausruhen, und wir werden uns hier ausruhen. Ansonsten werdet ihr von den Rebellen hören.
– Aber wir haben nichts, was wir euch geben könnten, beharrte der Häuptling. – Wir sind vor gerade zwei Tagen von den Rebellen geplündert worden. Ihr könnt euch hinsetzen und rasten, aber wir können euch nichts zu essen geben.
Sein Blick glitt über die lange Reihe, die unaufhörlich vom Pfad weiter in den Ort strömte. Junge um Junge tauchte aus dem Wald auf und füllte das Dorf. Der Häuptling schob sich die Pfeife von einem Mundwinkel in den anderen.
– Niemand könnte so viele satt bekommen, sagte er.
Dut blieb ungerührt. – Überleg dir, was du da sagst.
Der Häuptling stockte und stieß ein lautes resigniertes Schnauben aus. Sein zweites Schnauben war schon fast versöhnlich. Dut wandte sich zu uns um.
– Setzt euch hin. Rührt euch nicht vom Fleck, bis ich wiederkomme.
Dut folgte dem Häuptling in seinen Hof. Wir ruhten uns auf dem Gras aus, hungrig
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