Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Maweins Zorn wuchs.
– Das haben sie den Jungs der Roten Armee angetan? Unbewaffneten Kindern?
Dut schmeckte Rache und belastete die Dorfbewohner noch mehr. – Sie haben uns einen halben Tag gejagt. Sie wollen keine Rebellen in ihrem Dorf. Sie haben uns als Rebellen bezeichnet und die SPLA verflucht.
Mawein lachte. – Dieser Häuptling wird uns bald kennenlernen. War das der Mann mit der Pfeife?
– Ja, sagte Dut. – Viele von den Männern hatten Pfeifen.
– Wir kennen das Dorf. Morgen statten wir den Leuten einen Besuch ab und erklären ihnen, wie man Jungen der Roten Armee behandelt.
– Danke, Mawein, sagte Dut in einem ehrerbietigen Tonfall.
Mawein nickte ihm zu.
– Jetzt esst noch etwas, sagte er. – Esst, solange ihr könnt.
Wir aßen und starrten dabei die Männer an. Jeder Soldat hatte zwanzig Jungen um sich, die aßen, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Die Männer kamen uns riesig vor, die größten Männer, die wir seit Monaten gesehen hatten. Sie waren kerngesund, hatten kräftige Muskeln und selbstbewusste Mienen. Das waren Männer, die es mit den Murahilin und der Regierungsarmee aufnehmen konnten. Die Männer verkörperten all unseren Zorn und unsere Hoffnungen, an die wir uns klammerten.
– Gewinnt ihr den Krieg?, fragte ich.
– Welchen Krieg meinst du, Jaysh al-Ahmar?
Ich stockte. – Wie hast du mich genannt?
– Jaysh al-Ahmar.
– Was bedeutet das?
– Diese Jungen sind noch keine Jaysh al-Ahmar, Mawein. Sie sind zu jung.
– Zu jung? Sieh sie dir doch an. Sie sind bereit zu kämpfen! Sie sind Soldaten! Sieh dir die drei dort an.
Er zeigte auf drei ältere Jungen am Feuer, die sich noch immer Fleisch brieten.
– Sie sind groß, ja, aber sehr jung. Genauso alt wie die hier.
– Wir werden sehen, Dut.
– Gewinnt ihr den Krieg, Mawein?, wollte Deng wissen. – Den Krieg gegen die Murahilin?
Mawein sah Dut an und dann wieder Deng.
– Ja, Junge. Wir gewinnen den Krieg. Aber wir führen Krieg gegen die Regierung des Sudan. Das weißt du doch, oder?
Sooft Dut mir das auch erklärt hatte, es verwirrte mich noch immer. Unsere Dörfer wurden von den Murahilin überfallen, aber die Rebellen ließen die Dörfer schutzlos zurück, um irgendwo anders zu kämpfen, gegen die Regierungsarmee. Das war damals schon unbegreiflich für mich und sollte es noch viele Jahre bleiben.
– Willst du es mal halten?, fragte Mawein und zeigte auf sein Gewehr.
Und ob ich es halten wollte.
– Setz dich. Es ist ziemlich schwer.
Ich setzte mich, und Mawein machte rasch irgendetwas mit dem Gewehr, ehe er es mir in den Schoß legte. Ich hatte Angst, dass es sehr heiß sein könnte, aber als er es mir auf die nackten Beine legte, war es nicht nur sehr schwer, sondern fühlte sich auch kalt an.
– Schwer, was? Versuch mal, das den ganzen Tag zu schleppen, Jaysh al-Ahmar.
– Was bedeutet dieses Jaysh al-Ahmar?, flüsterte ich. Ich hatte gemerkt, dass Dut nicht wollte, das wir die Antwort auf diese Frage erfuhren.
– Das bist du, Junge. Es bedeutet Rote Armee. Du bist die Rote Armee.
Mawein lächelte, und ich lächelte. In diesem Moment gefiel mir die Vorstellung, einer Armee anzugehören, den Spitznamen eines Kriegers zu verdienen. Ich strich mit den Händen über das Gewehr. Es hatte eine sehr seltsame Form, fand ich. Mir fiel nichts ein, das so aussah wie diese Waffe, mit ihren vielen Spitzen und den Armen, die in alle Richtungen zeigten. Ich musste es mir ganz genau ansehen, um mir einzuprägen, auf welcher Seite die Kugeln rauskamen. Ich steckte meinen Finger in den Lauf.
– Das Loch ist so klein, sagte ich.
– Die Patronen sind nicht dick. Sie müssen nicht groß sein. Sie sind sehr scharf und fliegen so schnell, dass sie Stahl durchschlagen. Willst du mal eine Patrone sehen?
Ich sagte ja. Ich hatte Hülsen gesehen, aber noch nie eine richtige Patrone in der Hand gehalten.
Mawein griff in die Tasche vorne an seinem Hemd und holte einen kleinen goldenen Gegenstand heraus, den er sich auf die Handfläche legte. Er war so groß wie mein Daumen, an einem Ende abgeflacht und spitz am anderen.
– Darf ich sie anfassen?, fragte ich.
– Natürlich. Du bist aber höflich!, staunte er. – Ein Soldat ist nie höflich.
– Ist sie heiß?, fragte ich.
– Ob die Patrone heiß ist?, lachte er. – Nein. Das Gewehr macht sie heiß. Jetzt ist sie kalt.
Mawein ließ die Patrone in meine Hand fallen, und mein Herz schlug schneller. Ich vertraute Mawein, war aber unsicher, ob die Patrone
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