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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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ich ihn nicht weckte.
    Ich ging zu der Hütte, in der die Soldaten geschlafen hatten. Sie waren fort, aber drinnen sah ich die Schatten anderer Jungen, die nach Essen suchten, nach irgendetwas. Sie fanden nichts. Als wir aus der Hütte kamen, saßen die meisten Jungen in ihren Gruppen zusammen, bereit zum Aufbruch. Ich ging zu meiner Gruppe, und dann fiel mir Deng ein.
    – Dut, sagte ich. – Ich glaube, Deng schläft noch.
    Aber Deng war nicht mehr da, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte. Ein paar Jungen um mich herum benahmen sich merkwürdig. Sie wichen meinem Blick aus.
    – Achak, komm mal her, sagte Dut und legte mir einen Arm um die Schultern.
    Wir gingen ein kurzes Stück, und dann blieb er stehen und zeigte auf etwas. In der Ferne sah ich Deng schlafen, aber jetzt an einer anderen Stelle und mit der weißen arabischen Kopfbedeckung auf dem Gesicht.
    – Er schläft nicht, Achak.
    Für einen Moment legte mir Dut eine Hand auf den Kopf.
    – Geh nicht zu ihm. Sonst wirst du noch so krank, wie er es war.
    Dann drehte Dut sich um und wandte sich an eine Gruppe älterer Jungen.
    – Geht Blätter sammeln. Große Blätter. Wir brauchen viele, damit wir ihn ordentlich zudecken können.
    Drei Jungen wurden dazu bestimmt, Dengs Körper zu dem größten und ältesten Baum in der Umgebung zu tragen. Sie legten Dengs Körper unter den Baum und breiteten Blätter darüber, um den Geist des Toten zu besänftigen. Dut sprach einige Gebete, und dann setzten wir uns wieder in Bewegung. Deng wurde nicht beerdigt, und ich sah seinen Körper nicht.
    Als Deng begraben war, beschloss ich, nicht mehr zu sprechen. Ich sprach mit niemandem. Deng war der Erste, der starb, doch bald starben immer mehr Jungen, und es war keine Zeit, die Toten zu begraben. Jungen starben an Malaria, sie verhungerten und sie starben an Infektionen. Jedes Mal, wenn ein Junge starb, taten Dut und Kur ihr Bestes, um den Toten zu ehren, aber wir durften nicht verweilen. Dut nahm dann seine Liste aus der Tasche, notierte sich, wer gestorben war und wo, und wir gingen weiter. Wenn ein Junge krank wurde, ging er allein; die anderen hatten Angst, sich bei ihm anzustecken, und wollten ihn auch nicht allzu gut kennenlernen, weil er bestimmt bald sterben würde. Wir wollten seine Stimme nicht im Kopf haben.
    Als die Zahl der toten Jungen auf zehn stieg, auf zwölf, bekamen Dut und Kur Angst. Sie mussten jeden Tag jemanden tragen. Jeden Morgen war wieder ein Junge zu schwach zum Gehen, und Dut trug ihn den ganzen Tag, hoffte, dass wir einem Arzt begegnen oder in ein Dorf kommen würden, das den Jungen aufnehmen könnte. Manchmal geschah das tatsächlich, meistens jedoch nicht. Ich achtete nicht mehr darauf, wo Dut die Toten begrub oder versteckte, denn ich wusste, dass er immer unvorsichtiger wurde, je länger der Marsch dauerte. Alle waren schwach, viel zu schwach, um klar zu denken, wenn wir auf Gefahren reagieren mussten. Wir waren fast nackt, hatten unsere Kleidung unterwegs in den Dörfern gegen Essen getauscht, und die meisten von uns waren barfuß.
    Warum also sollte ein Höhenbomber uns für ein lohnendes Ziel halten?
    Als ich ihn sah, sahen ihn alle. Dreihundert Köpfe blickten gleichzeitig nach oben. Anfangs unterschied sich das Geräusch nicht von dem der Frachtmaschinen oder der kleineren Flugzeuge, die gelegentlich den Himmel kreuzten. Aber ich spürte das Grollen tiefer in meiner Haut, und das Flugzeug war größer als alle, die ich je in einer solchen Höhe gesehen hatte.
    Es flog einmal über uns hinweg und verschwand, und wir gingen weiter. Wenn Kampfhubschrauber in unsere Nähe kamen, sollten wir uns zwischen den Bäumen, im Unterholz verstecken, aber bei den Antonovs gab es nur die eine Regel, alles verschwinden zu lassen, was die Sonne reflektieren könnte. Spiegel, Glas, alles, was Licht auffing, musste versteckt werden. Doch derlei Dinge hatten wir schon lange nicht mehr, und überhaupt hatten nur wenige Jungen so etwas je besessen. Also zogen wir weiter, hielten es nicht für möglich, dass wir zum Ziel werden könnten. Wir waren Hunderte halb nackte Jungen, alle unbewaffnet und die meisten noch keine zwölf Jahre alt. Warum sollte sich dieses Flugzeug für uns interessieren?
    Doch wenige Minuten später kam es zurück, und gleich darauf war ein Pfeifen zu hören. Dut schrie, wir sollten weglaufen, sagte aber nicht, wohin. Wir rannten in hundert verschiedene Richtungen, und zwei Jungen wählten die falsche. Sie wollten sich zu einem großen Baum

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