Weit Gegangen: Roman (German Edition)
erntete. Sie hatte alles organisiert – eine Party mit Essen, Eintrittskarten zu einem Spiel der Atlanta Hawks, eine private Ansprache von Manute Bol, dem berühmtesten Sudanesen aller Zeiten, einem ehemaligen Profibasketballer, der einen großen Teil seines Geldes der SPLA zukommen ließ. Aber trotzdem wurde gemurrt und Marys Arbeit für die Lost Boys Foundation infrage gestellt. Verschwendete sie Spendengelder? War sie unfähig, den Lost Boys Studienplätze zu verschaffen?
Ich war erst wenige Monate im Land, und da saß ich, trug einen Anzug und schaute mir ein Basketballspiel der Profiliga an. Man stelle sich das einmal vor! Man stelle sich zwölf Flüchtlinge aus dem Sudan vor, allesamt in Anzügen, alle Anzüge von Kirchengemeinden und Förderern gespendet und alle eine Nummer zu klein. Man stelle sich vor, wie wir dasitzen und versuchen, das alles zu verarbeiten. Die Verwirrung begann schon vor dem Spiel, als eine Gruppe von zwölf jungen Amerikanerinnen unterschiedlicher Hautfarbe, gut gebaut und in Gymnastikanzügen, auf das leere Spielfeld liefen und zu einem Song von Puff Daddy einen hyperaktiven und äußerst provokanten Tanz aufführten. Wir starrten die herumhüpfenden jungen Frauen an, die ein Bild großer Macht und wilder Sexualität vermittelten. Es wäre unhöflich gewesen wegzuschauen, aber gleichzeitig machten mich die Tänzerinnen verlegen. Noch nie im Leben hatte ich so laute Musik gehört, und das ganze Spektakel – die Arena mit der über dreißig Meter hohen Decke, den Abertausend Sitzplätzen, dem Glas und dem Chrom und den Fahnen, der Cheerleadertruppe und der mörderischen Lautsprecheranlage – schien bestens geeignet, Menschen in den Wahnsinn zu treiben.
Kurz darauf begann eine andere Cheerleadertruppe, mit Geräten, die aussahen wie kleine Maschinengewehre, T-Shirts in die Ränge zu schießen. Ich starrte auf die Gewehre, die zehn zusammengerollte T-Shirts im Lauf hatten und sie bis zu fünfzehn Metern hoch in die Luft katapultieren konnten. Die jungen Leute, Cheerleader der Atlanta Hawks, wollten die Menge in Stimmung bringen, indem sie Kleidung und kleine Basketbälle verschenkten, aber ihre Aufgabe war schwierig. Die Atlanta Hawks traten gegen die Golden State Warriors an, und weil keine der beiden Mannschaften in dieser Saison erfolgreich gespielt hatte, verteilten sich nur ein paar Hundert Menschen auf die siebzehntausend Plätze.
Ein guter Teil der Zuschauer an jenem Abend waren Sudanesen – hundertachtzig an der Zahl – und zwölf davon waren auserkoren, zusammen mit Manute Bol direkt am Spielfeldrand zu sitzen. So saßen wir nun also neben einem der größten Männer überhaupt, die es je zum Profibasketballer gebracht hatten, und schauten uns das Spiel an. Es war ein seltsames Erlebnis, dieser Abend, und es hätte alles gut werden können, doch dem war nicht so, und der erste Missklang ertönte, als einer der Lost Boys, der keinen Platz ganz vorne bekommen hatte, zu uns kam und sich laut über diese Ungerechtigkeit beschwerte, sogar Manute gegenüber. Und während dieser junge Mann, dessen Namen ich nicht nennen werde, vom Leder zog, fiel wieder und wieder Marys Name, wenn es um die Ursache dieses Problems ging.
– Wie kann sie so was machen?, wollte er wissen. – Mit welchem Recht?
Ich hatte an dem Abend eine sehr schlechte Meinung von diesem Mann. Schließlich wurde er von einem Ordner aufgefordert, zu seinem Platz zurückzukehren, und wir richteten unsere Aufmerksamkeit beschämt wieder auf das Spielfeld. Während die Tänzerinnen weitermachten, kamen einige Spieler der Atlanta Hawks, die in natura alle viel größer aussahen als im Fernsehen, in ihren riesigen Schuhen zu Bol herübergetrabt und schüttelten ihm die Hand. Bol blieb sitzen, denn es war offensichtlich, dass ihm das Aufstehen nicht mehr so leicht fiel wie früher. Wir sahen zu, wie Bol mit den amerikanischen Spielern sprach, von denen die meisten nach einem kurzen Händedruck und wenigen Worten zurück zu ihrer Mannschaft liefen. Einigen der Hawks-Spieler genügte ein rascher Blick auf uns, Bols Gäste, um zu ahnen, wer wir waren.
Es machte Mut und war zugleich beschämend. Wir als Gruppe waren gesünder denn je, doch neben diesen Profispielern sahen wir geschwächt und unterernährt aus. Selbst unser Anführer, Manute Bol, ähnelte mit seinem kleinen Kopf und den riesigen Füßen einem übergroßen Ast, den man von einem Baum abgebrochen hatte. Jeder aus dem Sudan, so der Eindruck, den unsere Gruppe
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