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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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hatte, die nach Hawaii gefahren waren, und wer war sie denn eigentlich, dass sie eine solche Macht ausübte? Der Samen für den Untergang der Lost Boys Foundation wurde an jenem Abend gesät. Von da an konnte Mary nichts mehr richtig machen. Ich glaube nicht, dass Sudanesen besonders streitsüchtig sind, aber die Sudanesen in Atlanta scheinen förmlich nach Gründen zu suchen, sich gekränkt zu fühlen, wenn einem anderen etwas geschenkt wird. Es wurde schwierig, einen Job anzunehmen, oder eine Empfehlung. Jedes Geschenk, ob nun von einer Kirche oder einem Förderer, wurde mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Furcht angenommen. In Atlanta waren immerzu einhundertachtzig Augenpaare auf einen gerichtet, und es schien einfach nie genug von etwas zu geben, damit es für alle reichte, es gab keine Möglichkeit, etwas gerecht zu verteilen. Nach einer Weile war es ratsamer, entweder keine Geschenke mehr anzunehmen und keiner Einladung zu Vorträgen in Schulen oder Kirchen zu folgen, oder sich einfach ganz aus der sudanesischen Gemeinde zu verabschieden. Nur dann konnte man sichergehen, nicht ständig auf dem Prüfstand zu sein.
    Später wurde getanzt, obwohl nur vier Frauen dafür infrage kamen und nur zwei von ihnen Sudanesinnen waren. Nach dem Tanz hielt Manute Bol seine Rede. Er ragte hoch über uns auf, wirkte streng und schulmeisterlich, während er zuerst auf Dinka sprach und dann für die anwesenden Amerikaner auf Englisch. Er ermahnte uns zu gutem Benehmen während unserer Zeit in den Vereinigten Staaten, forderte, wir sollten Bilderbuchimmigranten sein, fleißig und strebsam. Wenn wir uns würdevoll verhielten, diszipliniert und ehrgeizig waren, würden unsere amerikanischen Gastgeber uns ins Herz schließen, so sagte er, und unser Erfolg würde die US-Regierung darin bestärken, noch mehr sudanesische Flüchtlinge ins Land zu holen. Er erklärte, es sei unsere Aufgabe, das Licht der Hoffnung für die Sudanesen zu sein, die noch in den Camps waren und im Sudan litten.
    – Denkt daran, dass Zeit Geld ist!, beschwor er uns.
    Er legte eine effektvolle Pause ein.
    – In Amerika dürft ihr nicht zu spät kommen!
    Wieder eine lange Pause.
    Manute sprach abgehackt, begann jeden Satz mit einigen lauten Worten, die dann in einen leiseren Schwall von Nachträgen übergingen. Während er sprach, standen wir alle still da und nickten. Unser Respekt für Manute Bol war gewaltig. Er hatte alles getan, was er konnte, um dem Sudan Frieden zu bringen. Erst wenige Jahre zuvor war er von der Regierung eingeladen worden, nach Khartoum zu kommen, wo man ihn zum Minister für Sport und Kultur ernennen wollte. Aus Treue zu seinem Land und weil er darin eine Gelegenheit sah, der islamischen Regierung seine Sorge um die Menschen näherzubringen, nahm Manute die Einladung an und flog nach Karthum. Dort angekommen teilte man ihm mit, dass er den Posten nur bekäme, wenn er vom Christentum zum Islam überträte. Er weigerte sich, und das erwies sich als fatal. Er hatte seine Gastgeber brüskiert, und der Legende nach soll er nur knapp mit dem Leben davongekommen sein. Nur durch Bestechung konnte er den Sudan verlassen und nach Connecticut zurückkehren.
    – Ihr richtet euch nicht mehr nach der afrikanischen Uhr! Die Zeiten sind vorbei!
    Das war uns nicht neu. Jeder von uns hätte ihm klarmachen können, dass wir ganz versessen darauf waren, einen College-Abschluss zu machen und einen gut bezahlten Job zu finden, der es uns ermöglichte, Geld nach Hause in den Sudan zu schicken.
    – Macht eure Vorfahren stolz!, dröhnte er.
    Mary beobachtete das alles, während sie emsig damit beschäftigt war, Essen auszupacken, Förderern zu danken, sauber zu machen, Hände zu schütteln. Meiner Erinnerung nach war es das letzte Mal, dass ich sie bei der Arbeit für unsere Interessen einigermaßen zufrieden erlebte. In den Monaten danach lernte ich Mary recht gut kennen – sie war es, die sich mit mir zusammen Der Exorzist auf Video ansah – und sie vertraute mir ihre Probleme mit den anderen Sudanesen an, denen sie doch helfen wollte. Sie schrien sie an; sie stellten ihre Kompetenz infrage, führten ihre vermeintliche Unfähigkeit häufig auf ihr Geschlecht zurück, etwas, wozu sudanesische Männer neigen, wie ich einräumen muss. Mit jedem neuen Vorwurf gegen sie – sie habe Spendengelder verschwendet, sie sei parteiisch und so weiter – zog sie sich weiter zurück, und natürlich blieb ihr nichts anderes übrig, als die Sudanesen zu bevorzugen,

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