Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Halbkreis um ihn herum saßen, jeder in seinem besten Anzug. Mir fiel gleich auf, wie ungewöhnlich er aussah für einen einflussreichen Mann, der dieses Treffen organisiert und viele bekannte Hollywoodfilme produziert hatte. Sein Haar, eine Mischung aus Rot und Braun und Blond, war ungekämmt, sein Hemd war falsch geknöpft und hing ihm aus der Hose. Er sprach einige Minuten, ein bisschen nach vorn gebeugt – er schien immer leicht gekrümmt zu gehen oder zu stehen –, und dann schien er erleichtert, den weiteren Verlauf in die Hände seiner Mitarbeiterin zu geben, einer Frau namens Margaret, die das Drehbuch für Bobbys Film schreiben würde.
Sie stand auf und erläuterte mit großer Klarheit die Handlung der Geschichte, die sie erzählen wollte, und ich fand, die Sache hatte Hand und Fuß. Andere Teilnehmer fanden das nicht. Sehr schnell wurden die Dinge kompliziert. Es wurde gefragt, wer von dem Film profitieren würde. Es wurde gefragt, warum die eine Version der Geschichte erzählt wurde und nicht eine andere. Die Vertreter der Lost Boys erhoben sich einer nach dem anderen und trugen ihre Meinung vor. Für alle, die noch nie eine sudanesische Ansprache gehört haben, sei gesagt, dass wir uns nur selten kurz fassen, wenn wir aufstehen, um zu reden. Manche führen das auf den Einfluss von John Garang zurück, der bekanntlich acht Stunden am Stück reden konnte und dann noch immer meinte, nicht alles gesagt zu haben. Auf jeden Fall reden die Sudanesen unserer Generation äußerst gern. Wenn irgendein Thema diskutiert wird, ist davon auszugehen, dass alle Leute im Saal ihren Kommentar dazu abgeben und dass jeder mindestens fünf Minuten braucht. Selbst für eine kleine Versammlung wie die in Kansas, die aus nur fünfunddreißig von uns bestand, hieße das, dass jedes Thema und sei es noch so banal, mehr als zwei Stunden lang debattiert würde. Sämtliche Redebeiträge ähnelten einander in Struktur und Gewichtigkeit. Der Sprecher würde zuerst aufstehen, seinen Anzug glatt streichen und sich räuspern. Dann würde er beginnen: – Ich habe diese Diskussion verfolgt, würde er anheben, – und ich möchte ein paar eigene Gedanken dazu äußern. Was dann kommen würde, wäre teilweise autobiografisch und beträfe Punkte, die schon längst zur Genüge behandelt worden wären. Weil jeder Teilnehmer das Bedürfnis hat, angehört zu werden, würden dieselben Punkte zumeist ein Dutzend Mal durchdiskutiert.
In Kansas ging es allen darum, ihre Interessen zu wahren. Der Vertreter des Nuba-Gebiets wollte sicherstellen, dass Nuba angemessen dargestellt wurde. Die aus Bor wollten sicherstellen, dass die Bedürfnisse der Menschen aus Bor berücksichtigt wurden. Doch das alles musste gründlich diskutiert werden, ehe überhaupt etwas getan werden konnte, und so wurde in Kansas wie auf vielen Treffen dieser Art nur sehr wenig erreicht. Es gab auch eine Repräsentantin der Lost Girls in Kansas, und sie wollte wissen, was für die weiblichen Flüchtlinge aus dem Sudan getan werden würde.
– Lost Boys!, sagte sie. – Immer nur Lost Boys! Was ist mit den Lost Girls?
So ging das in Kansas eine ganze Weile, wie so oft auf diesen Konferenzen. Niemand widersprach ihr, aber wir alle wussten, dass ihre Anwesenheit und die Notwendigkeit, die Bedürfnisse der neunundachtzig Lost Girls bei allen Themen zu berücksichtigen, die ganze Diskussion erheblich erschwerten.
Obwohl wir in Kansas nur stockend vorankamen, hatte ich Gelegenheit, Bobby näher kennenzulernen, und so wurde ich einer seiner Berater für den Film und das landesweite Netzwerk. Ich half schließlich, so gut ich konnte, bei der Planung einer sehr viel größeren Konferenz in Phoenix, die achtzehn Monate später stattfand. Sie wurde von Ann Wheat, einer Förderin der Lost Boys in Phoenix, und von Bobby organisiert. Bobby, so mein Eindruck, war zu dem Zeitpunkt ebenso erstaunt darüber wie wir, wie stark er inzwischen in alle Aspekte der sudanesischen Diaspora involviert war. Phoenix sollte die größte Versammlung von Sudanesen werden, die je in Amerika abgehalten wurde. Im Kongresszentrum der Stadt würden sich mindestens eintausend Lost Boys und ihre Verwandten einfinden, zum Teil samt Ehefrauen und Kindern. Die Teilnehmerzahl der Konferenz übertraf alle Erwartungen – auf einmal waren 3 200 Sudanesen in einem gigantischen Bankettsaal versammelt.
Aber an jenem Wochenende war es furchtbar heiß in Phoenix. Alle Teilnehmer klagten darüber.
– Das ist ja schlimmer
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