Weit Gegangen: Roman (German Edition)
akzeptablen Kompromiss dazwischen auszuhandeln, der es dem Nationalen Rat ermöglichen würde, aktiv zu werden, arbeitete ich eng mit Bobby zusammen, um Lösungen zu finden, die die Konferenz retten könnten. Im Laufe unserer Gespräche kamen wir auch auf Persönlicheres zu sprechen: Wie mein Leben in Atlanta war, wie ich im College vorankam, was ich für den kommenden Sommer geplant hatte. Und weil er zu uns allen so fair gewesen war und ich mal dringend aus der Stadt rausmusste, fragte ich ihn, ob ich nach Los Angeles kommen und den Sommer bei ihm verbringen könne. Ich bot an, jede Arbeit zu machen, für die er mich geeignet hielt. Ich verblüffte mich selbst mit dieser Frage. Und er verblüffte mich, indem er ja sagte. So kam es, dass ich mich in seinem schönen Haus wiederfand, zusammen mit ihm und seiner Frau Deb und den Kindern. Sie hatten vier, das älteste siebzehn und das jüngste, Billi, drei Jahre alt, und ich würde gerne glauben, dass ich mich gut einfügte und mich nützlich machte. Ich schwamm in ihrem Pool, versuchte, Tennis zu lernen, half beim Kochen und Einkaufen und passte auf die jüngeren Kinder auf, wenn man mich darum bat. Ich lernte auch die Grenzen dessen kennen, was mir erlaubt war. Ich schlief unten in James’ Etagenbett, und als ich eines Morgens spät aufwachte – ich konnte in dem Haus wunderbar schlafen –, sah ich, dass ich allein war. Alle saßen schon beim Frühstück, also machte ich mein Bett und das von James, so wie Gop Chol es mir beigebracht hatte. Als Deb später die beiden gemachten Betten sah, wollte sie wissen, warum ich das getan habe. Ich erklärte ihr, dass James mein kleiner Bruder sei und dass das Zimmer schöner aussehe, wenn beide Betten gemacht seien. Sie akzeptierte das, bat mich aber, das nie wieder zu tun.
– James ist zwölf, sagte sie, – und er sollte sein Bett selbst machen.
Die Großzügigkeit der Newmyers war irrational, denke ich, ja fahrlässig. Sie war kaum zu begreifen. Sie nahmen mich jedes Mal mit, wenn sie mit der ganzen Familie etwas unternahmen, einmal sogar auf eine Fahrt mit Freunden in einem Wohnwagen von Los Angeles zum Grand Canyon. Auf dieser Fahrt bekam ich von Bobbys Sohn Teddy und seinen Teenager-Freunden den Spitznamen V-Town verliehen und hätte den Wohnwagen beinahe in einen Abgrund gesteuert. So viel Vertrauen hatte Bobby in mich. Er fragte nicht, ob ich den Führerschein habe. Seit meiner Ankunft bei ihnen war ich in seiner Gegenwart noch nie Auto gefahren. Er fragte mich nicht nach meinen Fahrkünsten, und er fragte mich auch nicht, ob ich mir zutraute, ein so großes Fahrzeug zu lenken. Irgendwann in Arizona gab er mir einfach die Schlüssel, die Familie stieg hinten ein, und ich übernahm das Steuer. Bobby setzte sich grinsend neben mich, und ich ließ den Motor an.
Als ich Gaspedal und Bremse verwechselte, brüllte er vor Lachen. Wenn die Straße gerade und frei war, bestand eigentlich kein großer Unterschied zu meinem Toyota, aber wenn ich Kurven fahren und Autos ausweichen musste, dann war der Unterschied doch merklich größer. Ich denke nicht gern daran zurück, wie nah wir dem Abgrund waren, als ich den Wohnwagen endlich wieder unter Kontrolle bekam, aber ich kann sagen, dass Bobby kaum ein Wort von sich gab. Er behielt mich einfach die ganze Zeit im Auge, und als ich sicher zurück auf die Straße steuerte, schlief er wieder ein.
Als ich Los Angeles in jenem Sommer verließ, hatte ich vor, zu Thanksgiving wieder zurückzukommen, und ich telefonierte anschließend noch oft mit Bobby. Er und Phil halfen mir bei meiner Bewerbung fürs College, und dabei gab es eine Menge zu tun. Ich habe inzwischen fast alle Scheine zusammen, um am Georgia Perimeter College, einem auf zwei Jahre angelegten College in Atlanta, meinen Abschluss zu machen, und Bobby hat mich bei den Vorbereitungen für den Wechsel auf ein vierjähriges College unterstützt. Wir sprachen fast täglich darüber, und er schickte mir dauernd irgendwelche Prospekte.
Aber der vergangene Sommer und Herbst waren dann doch nicht so gut wie erhofft. Irgendwie schien vieles von dem, was um mich herum gewachsen war, in sich zusammenzufallen. Phil und Stacey zogen zurück nach Florida, weil Phils Beruf das erforderlich machte. Wir telefonieren noch immer häufig und schreiben uns Briefe übers Internet, aber ich vermisse die Besuche bei ihnen, das gemeinsame Essen dienstagabends und die Zwillinge. Die Lost Boys Foundation löste sich 2005 auf. Mary wurde mit dem
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