Weit Gegangen: Roman (German Edition)
als in Kakuma!, lachten wir. – In Kakuma war wenigstens Wind!, sagten wir.
Es waren knapp 43 Grad in Phoenix, obwohl wir das nur merkten, wenn wir das Kongresszentrum verließen, und die Gelegenheit dazu ergab sich nur selten. Fast alles fand innen statt, in einem riesigen kastenförmigen, schmucklosen Saal, in dem nur eine schlichte Bühne und Tausende von Stühlen standen. Das Ziel war zusammenzukommen, sich in großer Zahl zu versammeln und so etwas wie einen Kongress der jungen sudanesischen Flüchtlinge in den Vereinigten Staaten zustande zu bringen. Wir wollten ein Führungsgremium wählen, dessen Mitglieder uns Übrige organisieren und die internationale Stimme der vertriebenen Jugendlichen des Sudan werden sollten. Höhepunkt des Wochenendes sollte ein Besuch von John Garang höchstpersönlich sein. Die meisten von uns würden ihn zum ersten Mal wiedersehen seit Pinyudo, als wir zehn, zwölf Jahre alt waren.
Es war erstaunlich, so viele Männer aus Kakuma dort in Phoenix zu sehen. In Anzügen! Alle waren geschäftsmäßig gekleidet. Es tat gut, diese Männer zu sehen, und auch die Lost Girls, die in großer Zahl vertreten waren – rund drei Viertel der neunundachtzig Lost Girls waren an jenem Wochenende in Phoenix, und jede von ihnen sprach lauter als jedes ihrer drei männlichen Pendants. Die Lost Girls lassen nicht mit sich spaßen, man sollte sie nicht unterschätzen. Sie sind schön und wild, ihr Englisch ist ausnahmslos besser als unseres, ihr Verstand flink und angriffslustig. Zumindest in den USA, in diesem Umfeld nötigen sie allen und jedem Hochachtung ab.
Der Ablauf der Veranstaltung war klar und eindrucksvoll. Zum Auftakt wurden wir vom Bürgermeister von Phoenix begrüßt. Dann sprach John Prendergast von der International Crisis Group über die Haltung der Welt zum Sudan und wie es höchstwahrscheinlich weitergehen würde. Wir hatten Prendergast 1989 in Pinyudo gesehen, und zumindest einige der Männer erinnerten sich an ihn. Bobby und Ann hielten sich überwiegend im Hintergrund und wurden nicht müde zu betonen, dass die Konferenz zwar durch ihre Bemühungen erst möglich geworden war, aber jetzt in unseren Händen lag, und dass wir über Erfolg oder Scheitern bestimmten.
Ich weiß nicht genau, wie alles endete. Ich glaube, der Erfolg wurde durch unsere üblichen Kontroversen beeinträchtigt. Es gab Nominierungen für einen Nationalen Rat, und dann wurden die Kandidaten, ungefähr vierzig an der Zahl, auf die Bühne gerufen, und jeder hielt eine kurze Ansprache. Anschließend fand die Abstimmung statt, und als das Ergebnis bekannt wurde, war die Empörung groß, und es kam sogar zu einem kurzen Handgemenge. Wie sich herausstellte, war die Mehrheit der Gewählten aus der Region Bahr al-Ghazal, meiner Heimat, und diejenigen, die aus dem Nuba-Gebiet stammten, fühlten sich unterrepräsentiert. Diese Kontroverse dauerte auch noch während des abendlichen Barbecues und des Unterhaltungsprogramms an, das von einer Reihe sudanesischer Gruppen bestritten wurde. Sie schwelte sogar während des gesamten zweiten und dritten Tages der Konferenz weiter, bis Türen verriegelt wurden, Wachen in regelmäßigen Abständen Posten bezogen und man uns anwies, Platz zu nehmen und sitzen zu bleiben.
Dann kam John Garang herein. Das war der Mann, der im Grunde den Bürgerkrieg begonnen hatte, den Krieg, der auch in unsere Dörfer kam, in dem unsere Verwandten starben, der uns zu unserer Wanderung nach Äthiopien und später nach Kenia zwang, was wiederum zu unserer Umsiedelung in die Vereinigten Staaten führte. Doch obwohl viele Menschen im Saal John Garang mit gemischten Gefühlen betrachteten, wurde der Auslöser und die treibende Kraft des Bürgerkriegs und der möglichen Unabhängigkeit mit begeistertem Jubel begrüßt, als er, begleitet von zahlreichen Bodyguards, in den Saal kam und die Bühne betrat.
Er sah aus, als sei er absolut begeistert, hier bei uns zu sein, und als er ans Mikrofon trat, war offensichtlich – vielleicht bildete ich es mir bloß ein, aber ich glaube nicht –, dass er sich für unseren geistigen Führer hielt und dass er jetzt da weitermachte, wo er vor rund fünfzehn Jahren aufgehört hatte, als er im Flüchtlingslager von Pinyudo zuletzt zu uns gesprochen hatte.
Als ich mich im Anschluss an die Konferenz daran machte, die vielen Forderungen der verschiedenen Gruppen und die Verpflichtungen ihnen gegenüber zu entwirren, und gemeinsam mit Achor Achor versuchte, einen
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