Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Dinka und Christen. Jedes Mal, wenn sie hörten, dass die SPLA wieder eine Schlacht gewonnen hatte, wurden sie wütender. Im Frühjahr kamen die Rezeigat zu der Kirche und steckten sie in Brand. Drinnen waren viele Menschen beim Gottesdienst, aber sie brannten sie trotzdem nieder. Zwei Menschen kamen in der Kirche um. Dann gingen die Rezeigat zu den Häusern der Dinka und brannten viele davon nieder. Dabei starben weitere drei Menschen.
– Wir bekamen Angst. Die Dinka wussten, dass sie in der Stadt nicht mehr sicher waren. Eines Morgens führte mein Onkel uns zur Polizeiwache, wohin sich schon viele Hundert Dinka geflüchtet hatten. Die Polizei half uns und sagte, wir sollten uns in einem Viertel namens Hillat Sikka Hadid versammeln, in der Nähe des Bahnhofs. Wir verbrachten die Nacht dort, alle dicht zusammengedrängt. Wir waren uns einig, dass wir am Morgen aufbrechen und zurück in den Südsudan ziehen würden, wo uns die SPLA beschützen würde.
– Am Morgen wiesen uns Regierungsbeamte und die Polizei an, zum Bahnhof zu gehen. Sie sagten, dort sei es für uns am sichersten, und man werde uns mit dem Zug aus der Stadt bringen. Wenn wir erst außerhalb der Stadt seien, könnten wir ungehindert zurück in den Südsudan oder wohin wir auch immer wollten.
– Sie halfen, die Leute in den Zug zu verfrachten, in die gleichen Waggons, mit denen Vieh transportiert wird. Es waren acht Waggons, und die meisten Leute waren froh, wegzukommen und nicht zu Fuß gehen zu müssen. Sie sagten uns, sie wollten alle Männer und Jungen in einem Waggon haben, um sie zu kontrollieren und sicherzugehen, dass sie nicht zur SPLA gehörten. Das machte mich stutzig, aber mein Onkel meinte, ich solle mir keine Sorgen machen, es sei ganz normal, sie wollten sich nur vergewissern, dass die Männer unbewaffnet waren. Also stiegen mein Onkel und meine Vettern in einen der Waggons für Männer.
– Ich stieg mit meinen Tanten und jüngeren Cousinen in einen anderen Waggon. Mein Onkel war im ersten Waggon, und wir waren im fünften. In den Waggons war es sehr eng. Mit uns zusammen waren fast zweihundert Frauen und Kinder im Waggon. Wir bekamen kaum Luft. Wir drückten unsere Münder an die Schlitze, durch die von draußen Luft hineinströmte, und wechselten einander dabei ab. Viele Kinder weinten, vielen wurde schlecht. Ein Mädchen übergab sich auf meinen Rücken.
– Nach zwei Stunden hörten wir Geschrei in der Nähe des ersten Waggons, in dem mein Onkel war. Dann Schüsse. Von da, wo wir waren, konnten wir nichts sehen. Wir wussten nicht, ob dort SPLA und Armee miteinander kämpften oder was überhaupt los war. Dann hörten wir das Zischen und Prasseln von Feuer. Und dann, wie eine Welle, das Brüllen Hunderter Dinka-Männer. Auch die Rezeigat-Männer brüllten, beschimpften die Dinka. »Es brennt!«, kreischte jemand in unserem Waggon. »Sie verbrennen die Männer!« Dann schrien wir alle los. Wir schrien lange Zeit, aber wir waren gefangen.
– Ich weiß nicht, wie unser Waggon geöffnet wurde, aber die Tür ging auf, und wir stürmten nach draußen. Aber für die meisten war es zu spät. Eintausend waren verbrannt. Mein Onkel war fort. Wir flüchteten mit Hunderten anderen aus der Stadt und versteckten uns in den Wäldern, bis wir zu einem SPLA-Stützpunkt kamen. Schließlich beschlossen meine Tanten, ich solle mich den Jungen anschließen, die weggingen.
William K war schon einige Tage vor uns am Fluss angekommen, denn er war zwischendurch mit einem Bus mitgefahren und hatte sich dann einer anderen größeren Gruppe von Jungen angeschlossen. Die meisten von ihnen waren weitergezogen, während William am Fluss geblieben war und die Gastfreundschaft der Frauen am Ufer genossen hatte. Er war gesünder als die meisten von uns, und er schien ganz optimistisch, was die Zukunft anging.
– Hast du schon gehört, dass wir ganz nah an Äthiopien sind?, fragte er.
Das hatte ich noch nicht gehört.
– Soll nicht mehr weit von hier sein. Bloß noch ein paar Tage, dann sind wir in Sicherheit. Wir müssen nur durch ein Stück Wüste, und wenn wir rennen, schaffen wir das vielleicht sogar an einem Tag. Vielleicht sollten wir beide schon mal vorlaufen, damit wir als Erste dort ankommen. Und wenn dann der Regen kommt, gehen wir nach Hause. Wenn deine Eltern nicht in Marial Bai sind, kannst du meine Eltern haben, dann sind wir Brüder.
Zum ersten Mal in meinem Leben freute ich mich über William Ks Fantasiegeschichten. Er erzählte viele an
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