Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
einem nach einer Behandlung trotz der privaten Versicherung noch eine Rechnung ins Haus. So werden auch wir von Doktor Harding für die Geburt von Samuel eine Rechnung von mehreren hundert Dollar erhalten, die weder von Medicare noch von unserer privaten Krankenversicherung bezahlt wird. Eine Lösung wäre natürlich, die vorgeschriebene Abgabe für Medicare auf wesentlich realistischere fünf Prozent des Bruttoeinkommens zu erhöhen – oder noch höher –, um damit eine wirklich umfassende, öffentliche Krankenversicherung anbieten zu können. Doch politisch hat so ein Vorschlag keine Chance. Welcher Politiker will denn schon Steuern erhöhen?
Dass einem bei der Geburt eines Kindes solche Gedanken durch den Kopf gehen, ist nicht ungewöhnlich. Noch nie zuvor hat sich mein Leben von einer Minute auf die andere derart verändert. Plötzlich habe ich – haben wir – die Verantwortung für ein völlig schutzloses Wesen. Zum ersten Mal kann ich Samuel in die Arme nehmen. Er schaut mich an. Er studiert mich. Er nimmt Maß. Als ich ihn bade, in ein Tuch wickle und in die Krippe lege, schaut er, als würde er sich fragen: »Wer ist denn dieser Typ?« Und ich kann meinen Blick nicht abwenden von dem Kleinen. Ein Kollege hatte mir vor vielen Jahren einmal gesagt, es gäbe kein besseres Gefühl auf der Welt, als Vater zu werden. Er hat nicht übertrieben. Ich habe einen Sohn.
Noch vor kurzem hätte ich wohl mein Hab und Gut darauf verwettet, dass ich heute eine Tochter in den Armen halten werde.
KAPITEL 8
»Weißt du noch?«, fragt Christine, als wir im Krankenzimmer die Sachen zusammenpacken und Samuel zum ersten Mal in den Auto-Kindersitz schnallen. »Die 100 Dollar hast du mir noch immer nicht gegeben«, lacht sie. So sicher war ich mir, unser erstes Kind werde ein Mädchen sein, dass ich mit Christine um 100 Dollar gewettet hatte.
Wie die meisten Eltern waren auch wir in der 18. Schwangerschaftswoche zu einer Ultraschalluntersuchung gegangen. Die junge Kanadierin, die Christine mit dem Sensor über den Bauch fuhr, erzählte von ihrer Heimatstadt Toronto und dem Heimweh, das sie nach ihrer Familie und ihren Freunden habe. Alles sei okay mit dem Baby, meinte sie fast beiläufig, Größe, Gewicht, Wachstum, Rückgrat. »Wollen Sie wissen, welches Geschlecht es hat?«, fragte sie. Wir nickten. Ich wusste ohnehin schon, dass ich hier auf dem Bildschirm, in verschwommenem Grau, zum ersten Mal meine Tochter sah. »Anna« wollten wir sie nennen.
»Ich gratuliere«, sagte die Kanadierin, »Sie haben einen Jungen.«
Ich konnte mich gerade noch am Untersuchungstisch festhalten. Dann sank ich mit einem geflüsterten »Nein, das kann nicht sein, unmöglich« in den Stuhl. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich der Ohnmacht nahe. Christine musste sich vor lauter Lachen den dicken Bauch halten. »Ich hab’s gewusst«, strahlte sie. »Rück die 100 Dollar raus!« Die Kanadierin sah uns völlig verblüfft an. »Um Gottes willen, ist Ihnen schlecht?«, fragte sie mich. »Brauchen Sie einen Arzt?«, die Hand schon fast am roten Alarmknopf an der Wand. »Sie sind so blass, als hätten Sie einen Geist gesehen.«
Ganz unrecht hatte sie nicht.
Viele Jahre früher und 16 000 Kilometer entfernt: 1987 war ich Reporter bei einer Tageszeitung bei Zürich. Ich hatte den Auftrag, einen Artikel zu schreiben, über eine Konferenz zum Thema paranormale Erscheinungen. Geister und Gauner. Ich war mehr als skeptisch. Der Löffel biegende Uri Geller sollte auftreten, Geistheiler, Gedankenleser. Hellseher und Medien, die behaupten, mit Toten in Kontakt zu stehen. »Ist eh alles Humbug«, sagte der Chefredakteur, »aber gehen Sie mal.« Ich hatte zwar schon viel gelesen über paranormale Aktivitäten, überzeugt aber hatte mich nichts.
In den Tagen vor dem Kongress nahm ich eine Einladung zu einem Abendessen beim Organisator an. Ein netter Herr namens Wehrli. »Ich habe auch ein Medium eingeladen, das Sie interviewen können«, meinte er. »Sie werden begeistert sein von ›Madame Aba‹.«
Madame Aba? Oh Gott …
Es gab Gulasch und Kartoffeln, und Madame Aba war richtig hungrig. Eine kräftige Mittvierzigerin, mit kurzgeschnittenem, blondgefärbtem Haar. Ihr Name war natürlich nicht Madame Aba. »Ingrid heiße ich«, meinte sie freundlich und begann zu erzählen. Sie komme aus Nürnberg, wo sie als Sekretärin gearbeitet hatte. Bis sie gefeuert wurde, weil sie das Passwort des Hauptcomputers wusste. Immer wieder, nur Minuten
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