Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Tag. Vor allem jene, deren Kinder die Farm nicht übernehmen wollen.
Von ganz besonderem Interesse ist für uns eine kleine, unbefestigte Straße, die durch unser Grundstück führt. Dahinter liegt das Land unserer zukünftigen Nachbarn, Mick und Julie. Der ganze Bundesstaat New South Wales ist mit einem Netz von Durchfahrts- oder Zugangsstraßen durchzogen. Sie sind auf Referenzkarten im Grundbuchamt eingetragen – die meisten bis zu zwanzig Meter breit. Halbe Autobahnen, mitten durch die Wildnis. Viele dieser Straßen wurden aber nie gebaut. Es besteht nicht nur kein Bedarf dafür, ihre Lage auf der Karte ist oftmals so, dass der Bau unmöglich wäre: Sie führen über Berge, durch unwegsames Gelände, sogar durch Flüsse und Seen. »Die Straßen sind im frühen 19. Jahrhundert vom Kartographen praktisch willkürlich eingezeichnet worden, als das Land in der Region Sydney erschlossen wurde«, erklärt mir die nette Frau vom Grundbuchamt in Greentown. Es sei eine präventive Maßnahme der Regierung gewesen. »Damals wusste niemand, ob und wo mal eine Straße gebraucht wird, ob und in welche Richtung sich die neue Kolonie entwickeln würde.« So macht die Lage vieler dieser Straßen in den Plänen überhaupt keinen Sinn. Trotzdem ist ihre geographische Lage bis heute rechtlich verbindlich. Wenn der Staat will, kann er jederzeit kommen und die Straße bauen. Auch wenn sie mitten durch ein Privatgrundstück führt.
Unsere Straße gibt es aber wirklich, und das schon seit hundert Jahren. Wir geben unserem Anwalt John den Auftrag herauszufinden, wo genau sie endet. Es ist das eine, wenn durch ein Grundstück eine öffentliche Straße führt, die nur von einem Nachbarn benutzt wird. Es ist etwas ganz anderes, auf seinem Land eine Durchfahrtsstraße zu haben, die von jedem befahren werden kann, Tag und Nacht. John nickt: »No worries«, sagt er, kein Problem. Ich vertraue ihm.
Ein Fehler, wie sich herausstellen wird.
KAPITEL 12
Ein paar Tage später schweben Christine und ich noch immer wie in einem Traum, als ich abrupt in die Realität meines Berufes zurückgeholt werde. In Osttimor, praktisch einen Steinwurf von Australien entfernt, ist ein blutiger Konflikt ausgebrochen. Bilder des Grauens flackern über den Fernseher: Blutlachen auf den Straßen, verlassene, hungrige Kinder, Häuser, in denen hingerichtete Zivilisten gefunden werden. Die australische Regierung schlägt Alarm. Osttimor ist nicht einfach ein Land, das kaum jemand kennt. Als nächster Nachbar Australiens gehört es zu meinem Berichtsgebiet. Die Hauptstadt Dili liegt nur 700 Kilometer von der Nordküste Australiens entfernt – eine Flugzeit von etwas über einer Stunde. Osttimor ist eines der ärmsten Länder Asiens, obwohl es eigentlich unglaublich reich wäre. Im Meeresboden zwischen dem australischen Kontinent und Osttimor liegen riesige Öl- und Gasvorkommen. Australien beansprucht einen wesentlichen Teil dieser Rohstoffe für sich und hatte deswegen seit Jahren mit der Besatzungsmacht Indonesien verhandelt. 1975 waren indonesische Truppen einmarschiert, nur kurz nachdem Portugal nach der Nelkenrevolution seine frühere sogenannte »Überseeprovinz« Osttimor in die Unabhängigkeit entlassen hatte. Jakarta unterdrückte Osttimor fast drei Jahrzehnte lang brutal. Hunderttausende starben.
Doch jetzt hat den Unterdrückern die letzte Stunde geschlagen, und Australien kann nicht mehr einfach nur zuschauen. Die Osttimoresen hatten sich in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit dafür entschieden, selbständig zu werden. Überwacht worden war die Abstimmung durch die Vereinten Nationen, nach jahrelangen Verhandlungen mit Indonesien. Doch kaum war das Ergebnis klar, begannen die indonesischen Besatzer eine Politik der verbrannten Erde. Aus Soldaten wurden plündernde, mordende und vergewaltigende Milizen. Ein paar Tage lang hatten die Osttimoresen auf Freiheit und Unabhängigkeit gehofft, doch jetzt fließt erneut ihr Blut. Tausende von Flüchtlingen verstecken sich im hügeligen Hinterland. Andere strömen aus der Hauptstadt Dili in Richtung Westen. In der Enklave Oekussi im indonesischen Westtimor finden viele Unterschlupf. Doch die Bedrohung durch indonesische Truppen und Milizen wächst mit jedem Tag. Katholische Ordensschwestern flehen die Welt um Unterstützung an. »Sie müssen kommen«, plädiert Schwester Serafina Nahak in einem Telefongespräch mit dem amerikanischen Präsidenten Bill Clinton, wie sie mir Jahre später
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