Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
mitgebracht habe, sind aufgebraucht. Mit drei Kollegen teile ich das letzte Stück Hartkäse. Einen Zentimeter für John, den Australier, einen für Charlie, den Neuseeländer, und einen für mich. Nur Chris, den Engländer, scheint der Hunger wenig zu kümmern. Jeden Morgen nach seiner Live-Übertragung nach Australien wärmt er am Strand auf einem kleinen Kocher Wasser auf. Darin tunkt er dann seinen Teebeutel – den einzigen, den er hat. Dann setzt er sich auf eine Betonbank und schaut über das Meer und schlürft, mit sichtlichem Genuss, den ersten Schluck.
»Tea Time« am Rande des Wahnsinns.
Am fünften Tag kommt ein portugiesisches Kamerateam ins Hotel »Tourismo«. Helle Aufregung. Sie hätten in einem Hinterhof die Leiche eines Europäers gefunden, sagen die Kollegen. Die Bilder, die sie gedreht haben, sind eindeutig: Ein junger Mann, blond, mit weißem T-Shirt und dunkler Hose, liegt in einer Palmenplantage auf dem Boden. Sein Gesicht entstellt, sein linkes Ohr fehlt. Schnell stellt sich heraus, dass er Journalist ist. »Man will uns mit den Verletzungen ein Zeichen geben«, sagt ein australischer Kollege. »Wir sollen nicht hören und nicht sprechen.« Sander Thoenes, ein Reporter der Financial Times, war aus Jakarta angereist, hatte sich einen Fahrer gemietet und war mit einem Motorrad in ein von den Milizen kontrolliertes Gebiet gefahren. Wir rennen zu unseren Laptops. Der Mord macht innerhalb von Minuten Schlagzeilen, rund um den Globus. Auch in der Schweiz, wie ich erst wieder in Australien erfahren sollte. Denn die Telefonverbindungen aus Osttimor funktionieren nur sporadisch. Wir nutzen sie zum Senden von Texten, nicht für Gespräche.
Ohne dass ich davon eine Ahnung habe, beginnt für meine Familie wenig später ein Alptraum. In der Schweiz wacht meine Schwester auf und schaltet das Radio ein. Die Meldung ist Nummer eins der Morgennachrichten. »Ein deutscher Journalist« sei in Osttimor getötet worden, heißt es. Meine Eltern, meine Schwestern – für sie ist klar, dass ich tot bin. Denn sie wissen, dass ich zu diesem Zeitpunkt der einzige deutschsprachige Journalist in Osttimor bin. Meine Schwestern versuchen in Panik, beim Außenministerium mehr zu erfahren. Vergeblich. Auch die Nachrichtenagentur, von der die Meldung kommt, weiß nichts. Erst Stunden später korrigiert die Agentur den Fehler. Der bedauernswerte Kollege war ein Niederländer.
Am anderen Morgen fliege ich mit einer Maschine der Vereinten Nationen zurück nach Darwin. Wieder ein Katzensprung. Einmal mehr wird mir klar, wie gering die Distanz ist zwischen Australien und Osttimor, Indonesien und den Salomoneninseln. Wirtschaftlich, kulturell und politisch sind sie aber eine Welt entfernt vom Leben, das die meisten Australier führen. Kein Wunder, dass viele Australierinnen und Australier ihre Nachbarn als Bedrohung empfinden. Als ich in Darwin lande, nimmt der Quarantänebeamte am Flughafen erst mal meine Schuhe unter die Lupe. »Erde«, sagt er, »gehen Sie die Schuhe putzen.« In einem eigens dafür eingerichteten Raum schrubbe ich in einem glänzenden Chromstahlbecken meine mit Staub verschmutzten Trekkingstiefel und wasche sie mit Dettol. Das giftig-gelbe Desinfektionsmittel steht im Medizinschrank jeder australischen Familie. Es kann für die Behandlung von Schürfungen benutzt werden, zum Baden eines räudigen Hundes oder zum Abwischen des Küchentischs, nachdem man rohes Hühnchenschnitzel filetiert hat. Oder eben zum Abtöten von allem, was sich in fremden Ländern in den Sohlen und Ritzen von Schuhen und Rucksäcken versteckt, bevor es in Australien eingeschleppt werden und das Land verseuchen kann.
Zurück in Darwin, höre ich mir erst die Schelte meiner Familie in der Schweiz an. Mein Vater, sagt meine Schwester Susanne, sei an diesem Tag um zehn Jahre gealtert. Es sei der Gipfel der Verantwortungslosigkeit, mich als Vater von eineinhalb Kindern in derartige Gefahr zu begeben, tönt es durch das Telefon. Susanne meint – nur halb im Spaß –, sie werde mir bei meinem nächsten Aufenthalt in der Schweiz eigenhändig die Gurgel durchschneiden. »Dafür brauche ich keine Milizen.« Nur für Christine scheint es keine Frage zu sein, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. »Ich weiß doch, dass du gehen musstest«, meint sie. Auch bei späteren Einsätzen in Krisengebieten – ob auf den von blutigen Konflikten geplagten Salomoneninseln oder nach dem Tsunami 2004 im zerstörten Banda Aceh in
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