Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
manchmal über Hunderte, wenn nicht Tausende von Metern durch die Landschaft zieht, ein Produkt höchster Handwerkskunst. Wann immer ich im Land unterwegs bin, wann immer ich auf meinen Reisen einen perfekt gesetzten Zaun sehe, fotografiere ich ihn. Zum Amüsement meiner kopfschüttelnden Journalistenkollegen.
Zäune gehören so zur australischen Landschaft wie Eukalyptusbäume, Koalas und Kängurus. Australierinnen und Australier sind besessen von der Idee, alles und jedes abzuzäunen, einzuschließen, auszugrenzen. Nicht nur dort, wo ein Zaun wichtig und gar notwendig ist – wie eben auf dem Land –, sondern auch dort, wo er eigentlich keinen Sinn macht, ja kontraproduktiv ist, destruktiv, menschenverachtend. Mickrige Gärten in den Suburbs sind von fast zwei Meter hohen Blechzäunen umgeben, als Schutz gegen ungewollte Gespräche mit redseligen Nachbarn. Asylantenlager sind von elektrischen und mit Stacheldrahtrollen besetzten dreifachen Schutzwällen umgeben, komplett mit Todesstreifen. Diese Zäune tragen mit dazu bei, dass Flüchtlinge nach Jahren der Internierung mit schweren psychischen Schäden entlassen werden.
Vielleicht hängt dieser Zaunwahnsinn zumindest unterbewusst damit zusammen, dass die Australier einst im größten Knast der Welt lebten. Schließlich hat das moderne Australien als Sträflingskolonie begonnen. Zäune gehören seit der ersten Stunde der weißen Besiedelung zum Landschaftsbild, sie waren die ersten von den Neuankömmlingen errichteten permanenten Anlagen, noch vor Häusern. Kaum im Land, grenzten die ersten Siedler auf dem Gebiet des heutigen Sydney ihre kleinen Grundstücke ab, auf die sie primitive Zelte stellten. Erst mit grobgeschnittenen Holzpflöcken und grobgeflochtenen Seilen, später mit Draht, hielten sie ihre Tiere unter Kontrolle und versuchten, sich gegen die Aborigines zu schützen, zu denen sich das Verhältnis bald verschlechtern sollte. Die Einführung von Draht führte zu einem wahrhaftigen Boom im Zaungeschäft. Die australische Eisenerzindustrie, die Stahlwirtschaft, heute global tätige australische Unternehmen wie BHP Billiton – sie hätten sich wohl kaum so rasch entwickelt, hätte Australien nicht einen Bedarf gehabt, Millionen von Kilometern Land einzuzäunen. Eine prominente Rolle in diesem Geschäft spielt der sogenannte Starpicket (Sternpfosten), eines der wohl erfolgreichsten Massenprodukte überhaupt. Für Australien ist er zu einem Nationalsymbol geworden, das eigentlich seinen eigenen Feiertag verdient hätte.
Der Starpicket ist ein 1 Meter 60 langer Zaunpfahl aus drei parallel aneinandergeschweißten Stahlschienen. In einer der Schienen sind auf genau vorgegebenen Höhen und Abständen Löcher angebracht, durch die Draht gezogen werden kann. Den Namen hat der Starpicket vom Bild, das sich dem Betrachter von oben bietet, wenn er ihn in den Boden rammt: ein Stern mit drei Strahlen. Von den besiedelten Gebieten an der Ostküste bis in die menschenleere Weite des Outback: Hunderte von Millionen dieser Zaunpfosten stecken im australischen Boden. In mehrfacher Hinsicht verkörpern sie Eigenschaften, die sich australische Farmer gerne selbst zuschreiben. Sie sind praktisch unzerstörbar, trotzen Wind und Wetter. Sie verbiegen sich selbst in der sengenden Hitze eines australischen Hochsommers nicht, sie zerbrechen auch bei Minustemperaturen im Winter nicht, und sie trotzen sogar einem direkten Blitzschlag (dabei dürfte allerdings auch der zäheste Farmer an seine Grenzen stoßen). Starpickets, die vor 70, 80 Jahren eingeschlagen wurden, stehen noch heute, als wären sie erst gestern eingeschlagen worden. Doch sie in einen steinharten Boden zu hauen, das ist die Hölle. Vor allem für einen untrainierten Städter wie mich, der den Großteil des Tages damit verbringt, vor einem Bildschirm zu sitzen.
»Noch fünf Stück, dann haben wir es«, spornt Coxi mich an. Mit letzter Kraft setze ich den sechsundachtzigsten Starpicket dieses Tages an. Dann stülpe ich eine am oberen Ende zugeschweißte Stahlröhre darüber. Ich halte sie an zwei Griffen und hebe sie so hoch wie möglich. Dann haue ich die Röhre mit voller Wucht auf den Pfahl. Nach Jahren der Trockenheit, mitten in einer Jahrhundertdürre, ist der Boden so hart, dass ich zehn-, zwanzigmal zuschlagen muss, bis der Pfosten endlich sitzt. »Zwanzig Zentimeter im Boden, ohne Ausnahme.« Coxi meint es ernst. Ein paar Zentimeter zu tief oder zu hoch, und der Draht, den wir anschließend durch
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