Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
das unterste Loch ziehen, würde falsch sitzen. Und das für die nächsten hundert Jahre. Unakzeptabel. Kaum habe ich einen Starpicket gesetzt, kommt Coxi mit den Drähten. Drei zieht er durch: einen durch das Loch fünf Zentimeter über dem Boden, einen auf mittlerer Höhe des Pfahls und einen ganz oben. Dann werden die Drähte mit einem speziellen Werkzeug zwischen zwei wuchtigen Holzpfosten gespannt, an die wir – oder eher Coxi – sie mit einer »Figure 8« befestigt haben. An die Drähte befestigen wir mit speziellen Klammern einen Gitterzaun, eine fingerbrechende Geduldsarbeit. »Fertig!« Coxi trinkt einen Schluck Tee aus seiner Thermoskanne. Heißer Tee, bei 36 Grad! »Das ist das Beste gegen Durst«, erklärt er mir. Ich kann kaum noch auf den Beinen stehen. Meine Hände sind gefühllos. Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich körperlich derart hart gearbeitet. Coxi lacht nur und meint, ich würde mich schon noch ans Zäunen gewöhnen. Im Moment kann ich mir das nicht vorstellen. Am Abend lege ich mich im Wohnwagen auf die Bank und schlafe sofort ein. Am nächsten Tag habe ich einen derart starken Muskelkater, dass ich mich kaum bewegen kann.
Es ist mir unverständlich, wie man so einen Knochenjob jeden Tag machen kann. Doch viele Bauern haben keine andere Wahl. Einige kämpfen nicht nur um ihre Existenz. Sie kämpfen um ihr Leben.
KAPITEL 16
Über lange, schnurgerade Straßen fahre ich, stundenlang, in den Südwesten des Bundesstaates New South Wales. Ich finde John Rileys Farm schnell. In einem dünnbesiedelten Gebiet wie diesem, flach wie eine Bratpfanne, da kann man auch ein kleines Farmhaus nicht übersehen. »John, der Journalist ist da«, höre ich seine Frau rufen. John Riley begrüßt mich auf der Veranda, eine Tasse dünnen Schnellkaffee in der Hand. Ich habe kaum Zeit, meinen Notizblock aus der Tasche zu nehmen, und schon beginnt er zu erzählen. Von damals, als er an einem Morgen im September aufwachte und hustete. »Ich konnte kaum mehr aufhören.« Seither hustet der 55-Jährige alle paar Minuten. »Der Staub frisst sich in meine Lunge.« John ist einer von Tausenden australischen Landwirten, die gesundheitlich unter der schlimmsten Dürreperiode in 100 Jahren leiden. In Teilen Ostaustraliens ist seit Jahren kaum ein Tropfen Regen gefallen. Winde wirbeln Staub vom knochentrockenen Boden auf und tragen ihn Hunderte von Kilometern übers Land und schließlich ins Meer. Was nicht bis an die Küste kommt, lagert sich auf Dächern ab, in Häusern, in Schlafzimmern, in den Menschen.
Doch die Gesundheit seiner Lungen ist für John Riley im Moment die geringste seiner Sorgen, sagt er. Wichtiger sei, dass seine Farm überlebe, seine Frau und seine Kinder zu essen hätten und er die Schule bezahlen könne. »Das Internat ist teuer«, erzählt er mir. Seit 125 Jahren führt die Riley-Familie bei einem Städtchen 600 Kilometer südwestlich von Sydney einen landwirtschaftlichen Betrieb. Auf 4000 Hektar pflanzt John mit seinen Söhnen Weizen und Raps an, züchtet Rinder und Merino-Wollschafe. »Unsere Vorfahren kamen als Pioniere in diese Gegend«, sagt er stolz. »Wir haben sogar unseren eigenen Friedhof.«
Graue Haare hat John, fast weiße. Er sieht alt aus für seine 55 Jahre. Die tägliche körperliche Arbeit, die Angst um die Existenz haben ihn gezeichnet. Mit dem alten Kleinlaster fahren wir über eine steinige Sandpiste. »In guten Zeiten ist das eine grüne Weide«, klagt Riley. Die groben Reifen des Fahrzeugs werfen Staub auf. Blökend rennen uns ausgezehrte Schafe entgegen. Nur Haut und Knochen. Die Tiere stürzen sich auf das trockene Heu, das John ihnen hinwirft. Er lebe hier seit seiner Geburt, kenne sein Grundstück wie den Rücken seiner Hand. »Ich habe schon einige Dürren erlebt«, sagt der Bauer, »aber so schlimm war es noch nie.« Ausgerechnet in den landwirtschaftlich wichtigen Gebieten im Westen des Bundesstaates New South Wales und im Süden von Queensland herrsche in diesem Jahr totale Trockenheit. Die ganze Region hat sich in eine gigantische Wüste verwandelt – durchsetzt mit kleinen Städten und Dörfern voller verzweifelter Menschen. Die Prognosen zu den wirtschaftlichen Konsequenzen der Dürre tönen jeden Tag dramatischer. Riley hört jeden Morgen Nachrichten. »Die landwirtschaftliche Produktion wird im laufenden Finanzjahr um 80 Prozent niedriger ausfallen als im Vorjahr«, meint er. Die Getreidesilos sind leer. Zum ersten Mal seit Beginn der weißen
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