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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Wälterlin
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Parlament, eine eigene Justiz. Das Northern Territory, mit der Hauptstadt Darwin, ist auch nur ein Territorium.
    Das gelborange Licht der aufgehenden Sonne legte sich über die Stadt. Die Szene ließ mich beinahe die Kälte vergessen, die sich bis in meine Knochen fraß. Zum Glück hatte mir Lisa geraten, ein »Beanie« mitzubringen. »Beanie?«, hatte ich sie am Telefon ratlos gefragt. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass ich in Australien mit Begriffen konfrontiert wurde, die ich vorher noch nie gehört hatte. »Ein Beanie ist eine Wollmütze, die du dir über den Kopf stülpen kannst – über deine Bohne [englisch Bean]«, erklärte Lisa geduldig. Bis zum heutigen Tag denke ich beim Aufsetzen meines Beanie an Lisa, die nette Canberranerin.
    Greg, der in der halben Stunde seit unserem Ballonstart noch kein Wort gesagt hatte, konnte der Szenerie offenbar nichts abgewinnen. Er wirkte nur gelangweilt. Wahrscheinlich sah der Mann einfach zu viel Schönes. Heute Aperitif auf dem Eiffelturm, morgen Barbecue im Grand Canyon, danach eine Bootstour auf dem Amazonas. Zu bedauern, der Arme. Mir begegneten später immer mal wieder professionelle Reisejournalisten, die dieses Problem hatten. Dauernd zu den schönsten Orten der Welt eingeladen zu werden, mit Unterkunft, Wein und gutem Essen, kann abstumpfen. Und gewisse »Travel Writer« scheinen mit den Jahren zu vergessen, dass sie nicht wegen ihrer gewinnenden Persönlichkeit eingeladen werden, sondern einzig, damit sie etwas Nettes schreiben. Das tun in der Regel dann auch die meisten. Man will ja wiederkommen.
    Als wir an dem neuen Parlamentsgebäude mit seinem 81 Meter hohen Fahnenmast vorbeiglitten, öffnete Greg endlich den Mund. »Ich möchte einen Espresso«, meinte er zu Lisa mit fordernder Stimme. Die Frau erwiderte mit bemerkenswerter Geduld, dies sei derzeit leider nicht möglich, da wir in einem Korb aus Bast 200 Meter über der Erdoberfläche schwebten. Nach der Landung erwarte uns aber ein schönes Frühstück. Greg schmollte still weiter. Der Mann nervte uns alle.
    Dieses Parlamentsgebäude ist ohne Zweifel imposant. Als es 1988 eingeweiht wurde, war es das teuerste je in Australien gebaute Objekt. Über eine Milliarde Dollar legten australische Steuerzahler dafür auf den Tisch, und das, obwohl das alte Parlamentsgebäude – gerade mal einen Steinwurf entfernt – noch immer in bestem Zustand war. Das neue mit seiner gleichzeitig pompösen wie gradlinigen, gelegentlich kühl oder sogar abstoßend wirkenden Konstruktion symbolisiert für mich zwei Dinge. Einerseits den Glauben der Australierinnen und Australier, eine weltweit führende Demokratie zu sein – eine Illusion, wie ich bald erkennen sollte –, andererseits aber auch die zunehmende Isolation der Politiker vom Volk, von den Wählern, den Menschen, die sie eigentlich vertreten sollten, es aber in vielen Fällen nicht tun.
    Wir glitten über Burley Griffin, einen riesigen, von Menschen geschaffenen See, der die Stadt in zwei Teile trennt. Die ersten Autos waren schon unterwegs. Canberra ist eine Stadt des Kreisverkehrs. In keiner anderen Metropole der Welt gibt es wohl so viele Kreisel. Wer sich hier nicht auskennt und die falsche Spur erwischt oder gar die Ausfahrt verpasst, muss unter Umständen ein Dutzend Kilometer fahren, bis er wieder auf den richtigen Weg zurückfindet. Dazu kommt die schlechte Beschilderung der Straßen, der Mangel an Wegweisern, die frühzeitig vor einer Abfahrt warnen. Und nicht erst, nachdem man bereits abgebogen ist. Wehe dem, der sich in die Außenbezirke wagt. Ein Wirrwarr von stark gebogenen Seitenstraßen, überraschenden Sackgassen und gelegentlich mal einem Straßenschild. Mit dieser miserablen Beschilderung ist Canberra nicht alleine. In fast allen australischen Städten scheint die Regel zu gelten: Wer nicht weiß, wo es durchgeht, soll erst gar nicht kommen. Für viele Reisende aus dem Ausland war das Fahren durch australische Großstädte bis vor kurzem ein absoluter Alptraum. Dann wurden GPS-Geräte erfunden.
    Kerry, der Pilot mit dem Schnurrbart, zog am Seil. Er öffnete das Ventil der Gasflasche, das Gas schoss mit lautem Zischen in den Ballon. Diesen Vorgang wiederholte er mehrere Male. Doch der Ballon schien weiterzusinken, und Kerry sah zunehmend besorgt aus. Plötzlich schwebten wir nur noch etwa fünf Meter über dem See. »Haltet euch fest«, rief Kerry, inzwischen ziemlich nervös. Ich hielt mich am Rand des Korbes fest. »Das wird

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