Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
können, ist das für mich ein Job, der mindestens einen Tag pro Woche in Anspruch nimmt.
Von den paar Monaten als Knecht bei einem Schweizer Bauern in meinen jungen Jahren weiß ich ungefähr, wie man mit einer Kettensäge umgeht. Trotzdem habe ich mich von Ted genauestens instruieren lassen, als er mir eine »Stihl Farm Boss« verkaufte, eines von wenigen Produkten in Australien, auf denen nicht »made in China« steht. »Deutsche Qualität«, meinte Ted. Zu meiner Freude attestierte er mir eine »natürliche Begabung«, als ich im Hinterhof seines Ladens probeweise einen Baumstamm durchsägte. Trotz meiner scheinbaren Begabung habe ich einen riesigen Respekt vor diesen Maschinen. Mit einer Kettensäge Holz zu schneiden ist so ziemlich die gefährlichste Arbeit, die ich auf unserem Land zu verrichten habe. Und ich fälle ja nicht mal Bäume, sondern schneide einzig solche, die bereits vor Jahren gefallen und entsprechend trocken sind. Doch auch bei dieser Arbeit kann man sich mit einer Kettensäge katastrophale Verletzungen zufügen. Eine besonders große Gefahr ist der Rückschlag einer Säge – der »Kickback« –, wenn die Maschine unerwartet auf ein Hindernis stößt. Oder wenn ein gebogener Ast beim Sägen seine Spannung verliert und hochprallt. Unzählige Male habe ich schon solche Situationen erlebt, sie aber immer gut überstanden. Moderne Sägen blockieren in der Regel sofort die Kette, wenn sie auf Unregelmäßigkeiten stoßen. Das war früher nicht so. Eine Frau aus Greentown erzählte mir, wie sich ihr Vater in den sechziger Jahren wegen eines »Kickbacks« buchstäblich in zwei Teile geschnitten habe – vor ihren Augen, als sie gerade mal sieben Jahre alt war. Obwohl solche Tragödien heute nicht mehr möglich sind, weil Sägen nur laufen, wenn man gleichzeitig zwei Knöpfe drückt, gehe ich nie ohne komplette Schutzausrüstung in den Wald: Helm, Gehörschutz, spezielle Handschuhe, Schuhe mit Stahlkappen. Ohne diese würde ich heute wohl hinken. Als ich die Stiefel zum ersten Mal anzog und zu sägen begann, rutschte die Kettensäge ab – genau auf meinen rechten Fuß. Die Funken flogen, als die Kette das Leder zerfetzte und begann, die Stahlkappe aufzumeißeln.
Es war nicht das erste Mal, dass es auf unserem Land beinahe einen ernsthaften Unfall gegeben hätte. Und es sollte nicht das letzte Mal sein.
KAPITEL 21
»Langsam!«, rufe ich. David rennt schon wieder. Und das, obwohl unsere beiden Jungs praktisch seit ihrer Geburt wissen, dass sie nur langsam durch hohes Gras gehen sollen, nicht laufen. Und obwohl sie eigentlich immer schauen, wo sie hintreten. Aber Kinder vergessen sich gelegentlich, sie vergessen die Gefahr. Tigerschlangen, Schwarze Rotbauchschlangen und natürlich Braunschlangen. Wir müssen mit ihnen leben, hier auf unserem Grundstück. Wir sehen sie zwar selten, aber sie sind da. Gemessen an der Stärke ihres Giftes, sind Braunschlangen die zweitgiftigste Schlangenart der Welt. In Laborversuchen reichte eine Dosis Gift, um fast 200 000 Mäuse zu töten. Nur der Inlandtaipan ist noch tödlicher. Der schafft es auf 250 000. Der Inlandtaipan kommt zum Glück nur in einer kleinen Wüstenregion im Grenzgebiet zwischen den Bundesstaaten Queensland, Südaustralien und dem Nordterritorium vor. Die Braunschlange dagegen ist in verschiedenen Unterarten in weiten Teilen Australiens endemisch. Deshalb kommt sie auch häufig in Kontakt mit Menschen, selbst in den Suburbs, und deshalb gilt sie als gefährlichste Schlange überhaupt. Hier, bei uns auf dem Land, lebt die Östliche Braunschlange, bis zu zwei Meter dreißig lang und längst nicht immer braun. Wie das australische Salzwasserkrokodil, das auch im Süßwasser lebt, trägt die australische Braunschlange ihren Namen eigentlich zu Unrecht. Sie ist oft eher cremefarben, beige, gelegentlich fast schwarz.
Egal, in welcher Farbe, auf jeden Fall ist die Pseudonaja textilis, wie die Wissenschaftler das Reptil nennen, eine ernstzunehmende Gefahr. Leute auf dem Land fürchten sie ganz besonders. Denn die Braunschlange versucht als eine von wenigen Schlangenarten auf der Welt nicht, in jedem Fall instinktiv zu fliehen, wenn man sie aufschreckt. Statt abzuhauen, wenn ihnen Gefahr droht, greifen Braunschlangen oft erst mal an. Eine solche Attacke kann spektakulär aussehen.
An einem heißen Sommertag vor ein paar Wochen war ich mit meinem Auto auf unserer Straße unterwegs. Ich sah die Schlange bereits aus mindestens 20 Metern Entfernung.
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