Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
lustig«, dachte ich. Der Kameramann vom australischen Fernsehen war kreideblass. Er hielt seine 100 000 Euro teure Kamera fest, als wäre sie sein erstgeborener Sohn. Dann hatten wir nasse Füße. Während Kerry verzweifelt versuchte, heiße Luft in den offenbar zu kalten Ballon zu jagen, stieg uns das Wasser bis an die Knie. Es war eiskalt. »Es tut mir so leid, so leid«, sagte Lisa, den Tränen nahe. Die Marketingfrau erlebte den ultimativen Alptraum eines jeden Public-Relations-Verantwortlichen: ein Korb, voll mit Journalisten, der abzusaufen droht. Was für eine Schlagzeile! Greg hatte sich auf den Rand des Ballons gesetzt und versuchte krampfhaft, nicht nach hinten ins Wasser zu fallen. Für seine teuren Timberland-Stiefel war es zu spät. Die trieften vor Wasser. Ich konnte mir ein bisschen Schadenfreude nicht verkneifen. Und ich war wohl nicht der Einzige.
Das Fußbad dauerte nur ein paar Sekunden. Dann schaffte es Kerry, uns wieder in die Höhe zu ziehen. »Gott sei Dank«, sagte Lisa. Langsam gewannen wir wieder an Höhe. Doch das Drama war noch nicht beendet. Aus dem Nichts kam eine Windböe und drängte uns in Richtung Ufer. Verzweifelt versuchte Kerry, Höhe zu gewinnen. Stattdessen prallten wir mit den Bäumen zusammen, die den See säumen. Zum Glück nur der Korb. Wäre auch der Ballon in die Äste geraten, wären wir wohl abgestürzt. Kerry schaffte es rasch, die Situation zu retten. Wir flogen wieder hoch und landeten 100 Meter weiter, unverletzt und unbeschädigt. Niemand sagte auch nur ein Wort.
Ich habe nie erfahren, was mein amerikanischer Journalistenkollege über seinen Besuch in der australischen Hauptstadt geschrieben hat. Die australischen Fernsehleute waren gnädig und berichteten nicht über den Vorfall. Lisa rief mich später an und entschuldigte sich nochmals. Sie habe genug von Fußbädern und von exzentrischen Journalisten. Sie werde ihren Beruf wechseln und Gattin eines »Ministers« werden, wie sie meinte. Lisa wurde die Frau eines Pfarrers, nicht zu verwechseln mit der Berufsbezeichnung für Politiker. Und von denen gibt es in Canberra wahrlich genug. Doch die Hauptstadt hat noch einen anderen wichtigen Wirtschaftszweig.
So führt mich meine nächste Reportage an einen der ungewöhnlichsten Schauplätze meiner Journalistenkarriere: in den Puff.
KAPITEL 20
»In der Folterkammer kostet es mehr«, sagt Denise. So nennt sich die Frau mit den langen schwarzen Haaren und den kurzen roten Strapsen. Das Festbinden mit Eisenketten auf der Streckbank, das Schlagen mit einer sechsschwänzigen Peitsche sei dreimal so teuer wie das »Normalprogramm«, erklärt sie mir. Trotzdem herrsche im dunklen Raum im Bordell »Goldfingers« immer reger Verkehr. »Wir haben in diesem Raum oft Politiker«, sagt Denise. Die Domina ist Herrscherin über die Herrscher. Im Zentrum der Macht Australiens sehnt man sich offenbar danach, machtlos zu sein.
Die meisten Politiker verheimlichen nicht, dass sie nur in Canberra sind, weil sie müssen, und dass sie sich konstant auf den Heimflug nach Sydney oder Perth freuen. Canberra gibt es schließlich nur wegen der Politik. Die Verwaltung ist Wirtschaftsfaktor Nummer eins. Alles und jeder lebt direkt oder indirekt vom Geschäft mit der Politik: Schreibwarenläden und Restaurants, Blumenläden, Hotels und Leichenbestatter. Und am Abend ist die Stadt tot. Fast tot, denn gegen 21 Uhr erwacht Canberra zu einem zweiten Leben, dem Leben unter der Gürtellinie.
Ich fahre weiter, in ein umgebautes Lagerhaus. Dort sitzt Fiona Patten. »Wir haben 16 Bordelle in der Stadt«, erklärt mir die Präsidentin der Eros Foundation und Gründerin der Australischen Sexpartei. Patten weiß, wovon sie spricht: Sie war selbst ein »Working Girl« – eine Sexarbeiterin, eine Prostituierte, wie sie erzählt, und zwar mit Stolz. Heute ist sie das Gesicht der Lobbyorganisation der australischen Sexindustrie. Poweranzug und Laptop statt Kondom und Vibrator. Sie vertritt nebst Bordellen auch Sexshops und Produzenten von Pornovideos. Dass die Eros Foundation ihren Sitz in Canberra hat, ist nicht nur der Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern zu verdanken. Canberra ist das Herz der Sexindustrie, »die hier von den liberalsten Gesetzen in Australien profitieren kann«, so Patten. Das liberale Denken der Territoriumsregierung zahlt sich für das Volk in Dollar und Cent aus. Sex ist neben der Politik einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Canberra. Die Nachfrage nach
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