Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Ein massives Tier, weit über zwei Meter lang und für die normalerweise eher schlanken Braunschlangen ungewöhnlich dick. Wahrscheinlich hatte sie erst kürzlich gefressen. Das Reptil lag mitten auf der Straße, sonnte sich, tankte Wärme. Ich trat auf die Bremse, in der Hoffnung, dass die Schlange die Erschütterungen des Fahrzeugs im Boden spüren und sich aus dem Staub machen würde. Weit gefehlt. Ich rollte langsam auf sie zu. Noch immer keine Bewegung. Als noch etwa fünf Meter zwischen uns waren, schnellte sie plötzlich hoch und jagte – wie die Schnur einer wild geschwungenen Peitsche – auf mein Fahrzeug zu. Auf Höhe der Kühlerhaube biss das Tier mehrfach zu, in frenetischer Aggressivität. Der Angriff dauerte nur einen kurzen Augenblick. Ein paar Sekunden später, und die Schlange war im Gras am Straßenrand verschwunden. Gäbe es einen Guinnessbuch-Rekord für das schnellste Hochkurbeln eines Seitenfensters an einem Fahrzeug – ich hätte ihn an diesem Tag mit Sicherheit gebrochen.
Bis zu viermal pro Sekunde kann eine Braunschlange zubeißen. Wen es erwischt, selbst wenn die Zähne nur die Haut ankratzen, dem stehen Stunden der Agonie und Angst bevor, Wochen auf der Intensivstation oder der Tod. Der Kreislauf bricht zusammen, je nach Dosis des Gifts schon nach wenigen Minuten, manchmal nach Stunden. Wer zu spät ins Krankenhaus kommt, dem kann auch eine Dosis Gegengift kaum noch das Leben retten. Das Gift dieses Reptils hat nämlich eine doppelte Schlagkraft: Es blockiert die Blutgerinnung – das Opfer verblutet innerlich. Und es hat eine nervenzerstörende Wirkung: Die elektrischen Impulse zwischen den Nerven und den Muskeln werden gestört. Es kommt rasch zu einer Lähmung der Muskulatur – auch der Atemmuskeln. Man erstickt. Wenn man nicht vorher schon innerlich verblutet ist, wenn nicht die Nieren versagen.
Sei es bei Spaziergängen auf unserem Land, wie heute, oder wenn wir draußen arbeiten: Der Gedanke an diese zwar latente, aber allgegenwärtige Gefahr ist immer in meinem Hinterkopf. Ich habe einmal gelesen, im australischen Busch sei man nie mehr als zehn Meter von einer Schlange entfernt. Man sehe sie nur nicht. Diese Behauptung halte ich für übertrieben. Aber es schadet nicht, sich daran zu erinnern, wenn man unterwegs ist.
Wir spazieren heute zum »Creek«, zu unserem Bach. Er zieht sich durch einen großen Teil des Grundstücks. Es ist ein besonderer Tag. Tauftag. Wir haben einen Namen für unser Land gefunden, und den wollen wir feiern. »Wombat Creek« – der Bach, an dem die Wombats wohnen. Wombats sind die wohl am wenigsten bekannten Nationaltiere Australiens. Zu Unrecht, finde ich, denn sie sind genauso attraktiv und einzigartig wie Kängurus und Koalas. Wombats werden etwa 25 bis 40 Kilo schwer und sind ausgewachsen so groß wie ein kleiner Pitbull-Hund. Nur fester und runder – wie ein überdimensioniertes Meerschweinchen. Damit endet die Ähnlichkeit mit europäischen und südamerikanischen Tieren aber. Wombats sind uraustralische Beuteltiere. Fossilienfunde im Mungo-Nationalpark bei Broken Hill 1000 Kilometer westlich von Sydney zeigen, dass diese Tiere einst bis zu drei Meter groß wurden, in der Zeit der »Megafauna«. Sie gesellten sich zu 90 anderen Riesentieren, unter ihnen drei Meter große Kängurus und ein Löwe mit Bauchbeutel. Spätestens vor 50 000 Jahren, nach der Ankunft der ersten Menschen auf dem Kontinent, starben diese Monster aus. Jüngste Studien gehen davon aus, dass eine deutliche Abkühlung des Klimas für einen Zusammenbruch der Nahrungskette der Megafauna-Tiere verantwortlich war. Zuvor hatte man angenommen, Aborigines hätten sie bis zur Ausrottung gejagt. Die heute lebenden, deutlich kleineren Wombats sind hervorragend für das Leben unter dem Boden eingerichtet. Bei den Weibchen zeigt die Öffnung ihres Bauchbeutels nach hinten. So kann keine Erde in den Beutel eindringen, in dem das Jungtier heranwächst und Muttermilch trinkt. Wombats sind lebende Bulldozer. Sie graben jede Nacht. Stundenlang. Sie bauen unterirdische Tunnelsysteme, bis zu 18 Meter lang, in denen sie sich bei Gefahr verstecken, in denen sie schlafen, in denen sie ihre Jungen aufziehen. Ihre Körper sind auch für diesen Job hervorragend ausgerüstet. Kraftvolle Arme, Pfoten wie Schaufeln. Der Schädel ist mit einem besonders dicken Stirnknochen ausgerüstet. Das erlaubt den Tieren, Erde vor sich her zu stoßen oder so ziemlich jedes andere Hindernis, das sich ihnen
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