Weit wie das Meer
diese Frage machen.
»Die Bedingungen sind ideal«, sagte sie schließlich.
»Sehr viel besser als in den Jahren vorher. Ich kann Kevin von der Schule abholen, kann schreiben, was immer ich will, solange es zu der Kolumne paßt. Die Arbeit ist recht gut bezahlt, ich kann mich also nicht beschweren, aber…«
Sie hielt erneut inne.
»… es ist nicht mehr eine solche Herausforderung. Verstehen Sie mich nicht falsch, mir gefällt meine Arbeit, aber manchmal habe ich das Gefühl, daß ich immer dasselbe schreibe. Und selbst das wäre nicht so schlimm, wenn ich nicht so viele andere Dinge mit Kevin zu tun hätte. Jetzt werden Sie wohl denken, daß ich die typische überarbeitete alleinerziehende Mutter bin, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Er nickte. »Das Leben geht oft ganz andere Wege, als wir erwartet haben, nicht wahr?«
»Das kann man wohl sagen«, gab sie zurück, und wieder begegneten sich ihre Blicke. Als sie den Ausdruck seiner Augen sah, hatte sie das Gefühl, daß er nur selten mit anderen über solche Dinge redete. Sie beugte sich zu ihm vor und lächelte.
»Wie wär’s jetzt mit einem kleinen Imbiß? Ich glaube, mein Magen fängt an zu knurren.«
»Wann immer Sie wollen.«
»Ich hoffe, Sie mögen Sandwiches und kalte Salate. Etwas anderes ist mir für unser Picknick nicht eingefallen.«
»Ist doch wunderbar. Wenn Sie nicht vorgeschlagen hätten, etwas mitzubringen, hätte ich wahrscheinlich auf die Schnelle einen Hamburger gegessen. Möchten Sie drinnen essen oder draußen?«
»Draußen, auf jeden Fall.«
Jeder nahm seine Getränkedose, und sie erhoben sich. Auf dem Weg nach oben nahm Garrett seinen Regenmantel vom Haken und bat Theresa vorzugehen.
»Lassen Sie mich nur rasch den Anker werfen«, sagte er. »Dann können wir in Ruhe essen, ohne uns weiter um das Boot kümmern zu müssen.«
Theresa nahm wieder auf der hinteren Sitzbank Platz und sah zu, wie die Sonne am Horizont versank. Sie packte ihren Korb aus, wickelte die Sandwiches aus dem Zellophanpapier und öffnete die Plastikschälchen mit Kartoffel- und Kohlsalat.
Dabei beobachtete sie, wie Garrett die Segel einzog und das Boot sofort an Fahrt verlor. Er stand mit dem Rücken zu ihr, und sie sah deutlich, wie kräftig seine Schultermuskeln waren, hervorgehoben noch durch die schmalen Hüften. Sie konnte kaum glauben, daß sie mit diesem Mann, nach dem sie vor zwei Tagen noch von Boston aus gefahndet hatte, allein auf einem Segelboot war. Das Ganze erschien ihr so unwirklich.
Während Garrett die Segel in ihre Hülle steckte, sah Theresa prüfend zum Himmel. Der Wind hatte deutlich aufgefrischt, es wurde kälter, und die Dämmerung brach herein.
Nachdem das Boot zum Stillstand gekommen war, warf Garrett den Anker aus. Er wartete noch eine Weile, um sich zu vergewissern, daß der Anker auch wirklich hielt, und nahm dann neben Theresa Platz.
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen«, sagte Theresa lächelnd. Dann warf sie das Haar mit einer blitzschnellen Handbewegung hinter die Schulter, genauso wie Catherine es immer getan hatte. Er erwiderte nichts.
»Alles in Ordnung?« fragte Theresa.
Er nickte und fühlte sich plötzlich unbehaglich. »Doch, doch«, sagte er, »ich dachte nur eben, daß wir auf dem Rückweg öfter kreuzen müssen, wenn der Wind weiter zunimmt.«
Sie legte ein Sandwich auf seinen Teller und gab ihm etwas Salat. Während sie ihm den Teller zuschob, fiel ihr auf, daß er ein ganzes Stück näher bei ihr saß als vorher.
»Heißt das, wir brauchen länger für die Rückfahrt?«
Garrett nahm sich eine der weißen Plastikgabeln und kostete den Salat.
»Etwas länger, aber das ist kein Problem, es sei denn, der Wind flaut ganz plötzlich ab. Wenn das passiert, sitzen wir fest.«
»Das ist Ihnen wohl schon mal passiert?«
Er nickte. »Ein- oder zweimal. Es ist selten, aber es kann passieren.«
Sie blickte verwirrt drein. »Und warum ist es selten? Der Wind weht doch nicht immer, oder?«
»Auf dem Meer fast immer.«
»Wie kommt das?«
Er lächelte amüsiert und legte sein Sandwich auf den Teller. »Nun, Winde entstehen durch Temperaturunterschiede - wenn warme Luft auf kältere stößt. Damit der Wind völlig abflaut, wenn man auf dem Meer ist, müssen Luft- und Wassertemperatur auf einer weiten Fläche genau identisch sein. In diesen Breiten ist die Luft tagsüber gewöhnlich heiß, doch sobald die Sonne untergeht, sinken die Temperaturen sehr schnell. Deshalb ist die Dämmerung die beste Zeit zum
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