Weit wie das Meer
hatte ihr nicht ein einziges Mal das Gefühl gegeben, daß er sich von diesem Abend mehr versprochen haben könnte, und das empfand sie als wohltuend.
Als Garrett zu Ende erzählt hatte, lehnte er sich zurück und strich sich mit den Fingern durchs Haar. Er schloß die Augen und schien den Moment des Schweigens zu genießen. Also begann Theresa, die gebrauchten Teller und Servietten wieder in den Korb zu räumen, damit sie nicht ins Meer geweht wurden.
»Ich denke, wir sollten uns auf den Rückweg machen«, sagte Garrett nach einer Weile und erhob sich. Es klang fast so, als bedauerte er, daß der Ausflug sich dem Ende näherte.
Wenige Minuten später waren die Segel wieder gehißt. Der Wind, so stellte Theresa fest, hatte deutlich aufgefrischt. Garrett stand am Ruder und hielt die Fortuna auf Kurs. Eine Hand auf der Reling, stand Theresa neben ihm und dachte an ihr Gespräch. Sie schwiegen lange, und Garrett Blake fragte sich, was ihn so aus dem Gleichgewicht geworfen hatte.
Auf ihrem letzten gemeinsamen Segeltörn saßen Catherine und Garrett stundenlang plaudernd beisammen und genossen das Essen und den Wein. Die See war ruhig, und das sanfte Auf und Ab der Dünung hatte etwas Tröstliches.
Später, nachdem sie sich geliebt hatten, lag Catherine an Garretts Seite und ließ ihre Finger über seine Brust wandern.
»Was denkst du gerade?« fragte Garrett.
»Daß es nicht möglich ist, jemanden so sehr zu lieben, wie ich dich liebe«, flüsterte sie.
Garrett strich ihr über die Wange. »Dasselbe denke ich auch«, gab er sanft zurück. »Ich wüßte nicht, was ich ohne dich anfangen würde.«
»Versprichst du mir etwas?«
»Alles.«
»Daß du dir, falls mir etwas zustoßen sollte, irgendwann jemand anderen suchst. Versprich es mir.«
»Ich glaube nicht, daß ich eine andere Frau lieben könnte.«
»Versprich es mir trotzdem.«
Er zögerte einen Augenblick. »Gut, wenn es dich glücklich macht - ich verspreche es.« Er lächelte zärtlich.
Sie schmiegte sich an ihn. »Ich bin glücklich, Garrett.«
Als die Erinnerung verblaßte, räusperte sich Garrett und berührte flüchtig Theresas Arm. Dann deutete er zum Himmel. »Sehen Sie nur«, sagte er schließlich, bemüht, über neutrale Dinge zu reden. »Bevor es Sextant und Kompaß gab, haben die Seefahrer sich an den Sternen orientiert. Dort sehen Sie den Polarstern. Er steht immer im Norden.«
Theresa blickte zum Himmel auf.
»Woher wissen Sie, welcher Stern es ist?«
»Man behilft sich mit Markierungssternen. Sehen Sie den Großen Wagen? «
» Klar.«
»Wenn man durch die beiden Sterne rechts eine Linie zieht und diese verlängert, so zeigt sie auf den Polarstern.«
Theresas Blick folgte seinem ausgestreckten Finger, der auf die verschiedenen Sterne deutete, und sie dachte darüber nach, was Garrett so alles interessierte. Segeln, Tauchen, Fischen, Navigation nach den Sternen - alles, was mit dem Meer zu tun hatte. Oder alles, was ihm ermöglichte, stundenlang allein zu sein.
Mit einer Hand griff Garrett nach dem marineblauen Regenmantel, den er neben das Ruder gelegt hatte, und schlüpfte hinein. »Die Phönizier waren wahrscheinlich die größten Seefahrer der Geschichte. 600 v. Chr. behaupteten sie, den afrikanischen Kontinent umsegelt zu haben, aber niemand glaubte ihnen, weil sie sagten, der Polarstern sei auf halbem Weg verschwunden gewesen. Dabei hatten sie recht.«
»Warum?«
»Weil sie in die südliche Hemisphäre gelangt waren. Daran erkennen die Historiker, daß es ihnen tatsächlich gelungen ist. Vor ihnen hat niemand dieses Phänomen beobachtet, und wenn, so wurde es nicht festgehalten. Es mußten zweitausend Jahre vergehen, bis man ihnen glaubte.«
Theresa nickte und stellte sich ihre weite Reise vor. Sie fragte sich, warum sie über diese Dinge in ihrer Schulzeit nie etwas gehört hatte, und staunte über den Mann, der all das wußte. Und plötzlich begriff sie, warum sich Catherine in ihn verliebt hatte. Nicht, weil er besonders attraktiv, ehrgeizig oder charmant war. Das war er zwar auch, aber viel wichtiger war, daß er nach seinen eigenen Regeln zu leben schien. Es war etwas Geheimnisvolles, etwas Außergewöhnliches an der Art, wie er handelte - etwas Maskulines. Und das unterschied ihn von allen Männern, denen sie bisher begegnet war.
Garrett sah sie an, als sie nichts erwiderte, und stellte erneut fest, wie hübsch sie war. Im Dunkeln hatte ihre blasse Haut fast etwas Ätherisches, und er ertappte sich bei der
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