Weit wie das Meer
ganz ähnlich dachte wie er, weshalb keiner von beiden darüber sprach. Es schien leichter, das Thema zu meiden, weil sie sonst einen Weg hätten einschlagen müssen, von dem keiner sicher war, ob er ihn tatsächlich gehen wollte.
Einer von beiden würde sein Leben dramatisch ändern müssen. Aber wer?
Er hatte sein eigenes Geschäft in Wilmington und lebte das Leben, das ihm gefiel, das ihm seit jeher vertraut war. Es war schön, nach Boston zu reisen, aber Boston war nicht seine Heimat. Er hatte zuvor nie in Erwägung gezogen, anderswo zu leben. Und dann war da noch sein Vater - er war nicht mehr jung, und Garrett war der einzige Mensch, den er hatte.
Theresa wiederum hatte starke Bande in Boston. Kevin ging in die Schule, die ihm gefiel, Theresa machte Karriere bei einer namhaften Zeitung und hatte einen Freundeskreis, den sie würde verlassen müssen. Würde sie all das aufgeben können, ohne heimlichen Groll gegen ihn zu verspüren?
Garrett wollte nicht darüber nachdenken. Statt dessen konzentrierte er sich auf die Tatsache, daß er Theresa liebte, und klammerte sich an den Glauben, daß sie einen Weg finden würden, wenn sie füreinander bestimmt waren.
Im tiefsten Innern aber wußte er, daß es so einfach nicht sein würde - nicht nur wegen der Entfernung zwischen ihnen. Nach der Rückkehr von seiner zweiten Boston-Reise hatte er Theresas Foto vergrößern und rahmen lassen. Er hatte es auf seinen Nachttisch neben Catherines Bild gestellt, doch trotz seiner Gefühle für Theresa schien es in seinem Schlafzimmer irgendwie fehl am Platze. Nach ein paar Tagen hatte er es auf die Kommode gegenüber gestellt, doch es hatte nichts geholfen. Wo immer es stand, Catherines Augen schienen es zu fixieren. Einfach lächerlich, sagte er sich, nachdem er es ein weiteres Mal umgestellt hatte. Trotzdem ließ er es schließlich in der Schublade verschwinden und griff statt dessen nach Catherines Foto. Seufzend ließ er sich auf der Bettkante nieder und betrachtete es.
»Wir hatten diese Probleme nicht«, flüsterte er und strich mit dem Finger über ihr Bild. »Bei uns beiden schien alles so leicht, nicht wahr?«
Als das Foto keine Antwort gab, fluchte er über seine eigene Dummheit und zog Theresas Bild wieder hervor.
Während er auf beide Fotos starrte, wurde ihm klar, warum ihm so schwer ums Herz war. Er liebte Theresa mehr, als er sich jemals hätte vorstellen können… und er liebte Catherine immer noch…
War es möglich, sie beide gleichzeitig zu lieben?
»Ich sterbe vor Sehnsucht nach dir«, sagte Garrett.
Es war Mitte November, zwei Wochen vor Thanksgiving, dem Erntedankfest. Theresa und Kevin würden die Ferien bei ihren Eltern verbringen, und Theresa plante, das Wochenende davor nach Wilmington zu reisen. Sie hatten sich bereits einen Monat nicht mehr gesehen.
»Ich freue mich auch schon wahnsinnig«, sagte sie. »Und du hältst dein Versprechen, mich endlich deinem Vater vorzustellen?«
»Er plant ein vorzeitiges Thanksgiving-Essen in seinem Haus. Er hat mich schon x-mal nach deinen Lieblingsgerichten gefragt. Ich glaube, er will einen guten Eindruck auf dich machen.«
»Sag ihm, er soll keine Umstände machen.«
»Das sage ich ihm schon die ganze Zeit. Aber ich merke, wie aufgeregt er ist.«
»Warum?«
»Weil du der erste Gast seit Jahren bist. Sonst essen wir beide immer allein.«
»Störe ich eine Familientradition?«
»Nein, aber mir gefällt der Gedanke, daß wir eine neue beginnen. Übrigens war es seine Idee, dich einzuladen.«
»Glaubst du, er wird mich mögen?«
»Ganz sicher.«
Als er von Theresas Besuch erfuhr, tat Jeb Blake etwas, das er noch nie getan hatte. Zunächst einmal ließ er eine Zugehfrau kommen, die das kleine Haus, in dem er wohnte, von oben bis unten putzte, was zwei Tage in Anspruch nahm, weil er nirgendwo mehr ein Staubkörnchen dulden wollte.
Außerdem kaufte er sich ein neues Oberhemd und eine Krawatte. Als er aus seinem Schlafzimmer kam, um sich in seinen neuen Kleidern zu präsentieren, blieb Garrett fast der Mund offenstehen.
»Wie sehe ich aus?« fragte er.
»Großartig, aber wieso trägst du eine Krawatte?«
»Nicht für dich - für das Abendessen am Wochenende.«
Garrett musterte seinen Vater, ein ironisches Lächeln um die Lippen. »Ich glaube, ich habe dich noch nie mit Krawatte gesehen.«
»Unsinn. Es ist dir nur nicht aufgefallen.«
»Du brauchst keine Krawatte zu tragen, nur weil Theresa kommt.«
»Weiß ich«, erwiderte Jeb knapp.
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