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Weiter weg

Weiter weg

Titel: Weiter weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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war; wenn er sich nicht selbst eine schwierige Aufgabe gestellt hat; wenn das fertige Buch nicht die Überwindung eines großen Widerstands ist –, dann das Lesen nicht lohnt. Und, was den Autor betrifft, meiner Meinung nach auch nicht das Schreiben.
    Das scheint mir in einer Zeit, in der es so viele andere spaßige und preiswerte Dinge gibt, die ein Leser machen kann, statt zu einem Roman zu greifen, umso wahrer. Als Schriftsteller ist man es seinen Lesern heute schuldig, sich die schwierigste Aufgabe zu stellen, der noch gerecht werden zu können man wenigstens hoffen darf. Mit jedem Buch muss man so tief wie möglich graben und so weit wie möglich ausholen. Und wenn man das tut, und es gelingt einem ein halbwegs gutes Buch, dann heißt das, beim nächsten Buch noch tiefer graben und noch weiter ausholen zu müssen, weil es die Mühe sonst wiederum nicht lohnt. Was praktisch heißt, dass man, um das nächste Buch zu schreiben, ein anderer Mensch werden muss. Der Mensch, der man bereits geworden ist, hat das beste Buch, das er schreiben konnte, ja bereits geschrieben. Ohne sich zu ändern, kommt man nicht voran. Ohne, mit anderen Worten, an der Geschichte des eigenen Lebens zu arbeiten. Was bedeutet: an der eigenen Autobiographie.

    Meine übrigen Bemerkungen möchte ich der Vorstellung widmen, dass es nötig ist, zu dem Menschen zu werden, der das Buch schreiben kann, das man schreiben muss. Ich weiß, dass ich, indem ich von meiner Arbeit und der Entwicklung vom Scheitern zum Erfolg erzähle, riskiere, so zu wirken, als wollte ich mir selbst auf die Schulter klopfen und wäre übermäßig von mir eingenommen. Nicht dass es weiter verwunderlich oder verurteilenswert ist, wenn ein Schriftsteller stolz auf seine besten Arbeiten ist und viel Zeit damit verbringt, über sein Leben nachzudenken. Aber muss er auch noch darüber reden ? Lange Zeit hätte ich darauf mit Nein geantwortet, und dass ich jetzt mit Ja antworte, könnte durchaus etwas Schlechtes über meinen Charakter verraten. Aber ich werde so oder so über Die Korrekturen sprechen und einige der Schwierigkeiten schildern, die ich überwinden musste, um ihr Autor zu werden. Ich möchte vorausschicken, dass viele dieser Schwierigkeiten für mich – wie es, glaube ich, für alle Schriftsteller gilt, die sich ganz dem Problem des Romans verschreiben – darin bestanden, Scham, Schuld und Depression zu überwinden. Ich möchte außerdem vorausschicken, dass bei dieser Schilderung neuerliche Wellen der Scham über mich hereinbrechen werden.
    In den frühen Neunzigern bestand meine vordringlichste Aufgabe darin, von meiner Ehe loszukommen. Das Eheversprechen zu brechen und die Gefühlsbande der Loyalität zu zerreißen fällt wohl niemandem jemals leicht, und in meinem Fall war es insofern besonders kompliziert, als ich jemanden geheiratet hatte, der ebenfalls schrieb. Ich war mir vage bewusst, dass wir zu jung und unerfahren waren, um uns lebenslange Monogamie zu schwören, aber mein literarischer Ehrgeiz und mein romantischer Idealismus trugen den Sieg davon. Wir heirateten im Herbst 1982, ich war gerade dreiundzwanzig geworden, und wir machten uns daran, als Team literarische Meisterwerke zu schaffen. Unser Plan war, ein Leben lang Seite an Seite zu arbeiten. Ein Plan B schien nicht notwendig, denn meine Frau war eine talentierte und weltgewandte New Yorkerin, die dazu bestimmt schien, Erfolg zu haben, und zwar wahrscheinlich lange vor mir, und ich wusste, dass ich für mich selber immer würde sorgen können. Und so schrieben wir beide Romane und waren beide überrascht und enttäuscht, als meine Frau ihren nicht verkaufen konnte. Als ich dann meinen verkaufte, im Herbst 1987, war ich gleichzeitig elektrisiert und sehr, sehr schuldbewusst.
    Es blieb uns nichts anderes übrig als wegzulaufen, in diverse Städte und Metropolen auf zwei Kontinenten. Irgendwie gelang es mir trotz all des Weglaufens, einen zweiten Roman zu schreiben und zu veröffentlichen. Die Tatsache, dass ich ein klein wenig Erfolg hatte, während meine Frau noch mit ihrem zweiten Roman kämpfte, schrieb ich der allgemeinen Ungerechtigkeit und Unfairness der Welt zu. Schließlich waren wir ein Team – wir gegen die Welt –, und meine Aufgabe als Ehemann bestand darin, an meine Frau zu glauben. Und so war ich, statt mich an meinen eigenen Erfolgen zu freuen, bitterböse auf die Welt. Mein zweiter Roman, Schweres Beben , war der Versuch zu schildern, wie es sich anfühlte, so zu zweit in

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