Weiter weg
dieser bitteren Welt zu leben. Wenn ich zurückschaue, kann ich, obwohl ich immer noch stolz auf diesen Roman bin, erkennen, wie sein Ende von meinem ehelichen Wunschdenken deformiert wurde: von meiner Loyalität. Und dass meine Frau es nicht genauso sah, verschlimmerte meine Schuldgefühle nur. Unvergesslich, wie sie einmal behauptete, ich hätte ihre Seele bestohlen, um ihn zu schreiben. Außerdem wollte sie nicht ganz grundlos von mir wissen, warum meine weiblichen Figuren eigentlich ständig umgebracht oder durch Schusswaffen schwer verletzt würden.
Das Jahr 1993 war das schlimmste meines Lebens. Mein Vater lag im Sterben, meiner Frau und mir war das Geld ausgegangen, und beide wurden wir immer deprimierter. In der Hoffnung auf ein bisschen leichtverdientes Geld schrieb ich ein Drehbuch über ein junges, uns beiden sehr ähnliches Paar, das sich gemeinsam auf Einbrüche verlegt, sich beinahe in Affären stürzt, am Ende aber im Triumph ewiger Liebe glückselig vereint ist. An diesem Punkt konnte sogar ich erkennen, dass meine Arbeit von meiner ehelichen Treue deformiert wurde. Doch das hinderte mich nicht daran, einen neuen Roman zu entwerfen, Die Korrekturen , in dem ein junger Mann aus dem Mittleren Westen für zwanzig Jahre ins Gefängnis kommt – für einen Mord, den seine Frau begangen hat.
Zum Glück griff, bevor meine Frau und ich uns oder jemand anderen umbrachten, die Wirklichkeit ein. Diese Wirklichkeit hatte unterschiedliche Gesichter. Eines davon war unser nicht länger zu leugnendes Unvermögen zusammenzuleben. Ein anderes war eine Handvoll enger literarischer Freundschaften, die ich schließlich außerhalb meiner Ehe geschlossen hatte. Ein drittes, das wichtigste von allen, war, dass wir dringend Geld brauchten. Da Hollywood an einem Drehbuch, das nach persönlichen Problemen stank (und eine fatale Ähnlichkeit mit Das Geld liegt auf der Straße aufwies), offenbar nicht interessiert war, sah ich mich gezwungen, journalistisch zu arbeiten, und es dauerte nicht lange, bis mich die New York Times mit einem Artikel über den prekären Zustand der amerikanischen Literatur beauftragte. Während ich dafür recherchierte, lernte ich einige meiner alten Helden kennen, darunter Don DeLillo, und mir wurde bewusst, dass ich nicht nur zum Zweier-Team, bestehend aus mir und meiner Frau, gehörte, sondern zu einer viel größeren und immer noch lebendigen Gemeinschaft von Lesern und Schriftstellern. Der ich, das war meine entscheidende Erkenntnis, ebenfalls verpflichtet war und Treue schuldete.
Sobald das hermetische Siegel auf meiner Ehe erst gebrochen war, fiel alles schnell auseinander. Ende 1994 hatten wir beide unsere eigenen Apartments in New York und führten endlich das Single-Leben, das wir wahrscheinlich in unseren Zwanzigern hätten führen sollen. Das hätte Spaß machen und befreiend wirken sollen, aber ich hatte immer noch schauerliche Schuldgefühle. Loyalität, insbesondere der Familie gegenüber, ist für mich ein grundlegender Wert. Treue bis zum Tod hat meinem Leben schon immer Sinn verliehen. Ich vermute, dass Menschen, die weniger von Loyalitätsgefühlen belastet sind, das Schreiben leichter fällt, andererseits haben alle ernstzunehmenden Schriftsteller zu einer bestimmten Zeit in ihrem Leben mehr oder minder mit den widerstreitenden Bedürfnissen von guter Kunst und gutem Betragen gerungen. Solange ich verheiratet gewesen war, hatte ich diesen Konflikt zu meiden gesucht, indem ich technisch anti autobiographisch blieb und Plots konstruierte, die sich zwanghaft mit intellektuellen und sozialen Fragen beschäftigten – in meinen ersten beiden Romanen findet sich keine einzige nach dem Leben gezeichnete Szene.
Als ich Mitte der Neunziger zu den Korrekturen zurückkehrte, arbeitete ich nach wie vor mit einem absurd verkomplizierten Plot, den ich entwickelt hatte, als ich noch versuchte, innerhalb der sicheren Grenzen ehelicher Loyalität zu arbeiten. Ich hatte viele Gründe, einen großen Gesellschaftsroman schreiben zu wollen, der wichtigste aber war vermutlich mein Wunsch, ganz Intellekt, ganz weltliche Expertise zu sein, um die schmutzige Angelegenheit meines Privatlebens zu meiden. Ich hielt noch ein oder zwei Jahre fest am Versuch, diesen großen Gesellschaftsroman zu schreiben, aber schließlich machte der kaum noch zu leugnende falsche Ton offensichtlich, dass ich ein anderer Schriftsteller werden musste, um einen anderen Roman schreiben zu können. Mit anderen Worten, ich musste
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