Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
anders aus.« Nichts erinnerte mehr an das letzte Weihnachten. Das Esszimmer war sonnengelb gestrichen. Über einem niedrigen, altmodischen Sideboard, auf dem nur ein Tablett mit zwei Flaschen Rum stand, hing ein großer Spiegel in vergoldetem Rahmen. Um den Tisch herum standen sechs mit Gobelinstoff bezogene Stühle.
» Die Stühle hat mir dein Großvater gegeben. Sie sind schon ziemlich alt.«
Auf den gewachsten Dielen lag ein bunter Teppich, und an einer Wand hingen alte Schwarz-Weiß-Fotografien.
Das ganze Haus wirkte völlig verändert. Es strahlte Freundlichkeit und Wärme aus. Vom Esszimmer aus gingen sie ins Wohnzimmer, wo Sarah die düsteren Porträts vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts betrachtete.
» Hier drin die Großeltern und die Eltern im Esszimmer. So sind alle glücklich«, erklärte Anthony.
» Die perfekte Familie?«, fragte Sarah und zog die Augenbrauen hoch, als sie eine Reihe von gerahmten Filmplakaten betrachteten, auf denen Westernhelden aus den Fünfzigerjahren abgebildet waren.«
» Genau«, stimmte Anthony leise zu und lachte. » Ich mache uns einen Tee.«
Nachdem er Tee aufgebrüht hatte, gingen sie in Sarahs ehemaliges Schlafzimmer, das Anthony in einen Wohnraum verwandelt hatte. Anthony reichte ihr eine Tasse Tee und einen Ingwerkeks. Dann lehnte er sich gemütlich in seinem Sessel zurück. » Tut mir leid, ich hatte keine Zeit zu backen.«
» Meine Lieblingskekse.« Sarah grinste und biss von dem krümeligen Keks ab. Sie hatte zum Frühstück im Flugzeug nur eine Tasse bitteren Kaffee und etwas, das angeblich ein Muffin sein sollte, bekommen, und jetzt hatte sie schrecklichen Hunger.
» Wie findest du es?«
» Gut.« Ähnlich wie in ihrem Zimmer auf Wangallon blickte man auch aus ihrem ehemaligen Schlafzimmer auf den gesamten Garten. Allerdings gab es die geliebten Blumen ihrer Mutter nicht mehr. Nur die alten Bäume standen noch da. Die Mittagssonne schien in das helle Zimmer. In einem großen Terrakotta-Gefäß in einer Ecke standen getrocknete Rohrkolben, und in einer anderen Ecke befanden sich ein kleinerer Esstisch und ein Fernseher. Bücherregale säumten eine Wand, und die beiden bequemen Lehnsessel, in denen sie saßen, waren mit Kängurufell bezogen. Auf dem Boden lag ein Kuhfell. Ein besonders schöner Fuchspelz hing an der Wand gegenüber. Er schimmerte im Sonnenlicht und Sarah ging hin, um ihn sich näher anzuschauen.
» Cameron hat ihn gegerbt, nicht wahr?«, fragte sie.
» Ja.«
Sarah fuhr mit dem Finger über das seidige Fell. » Er fehlt mir«, sagte sie. Sie hatte seit Jahren nicht mehr von ihm gesprochen. » Ihr beide wart die besten Freunde.« Wenn sie die Augen schloss, konnte sie Cameron im Sessel neben Anthony sitzen sehen. Er grinste, und seine Augen blitzten amüsiert.
» Ja, das waren wir.« Anthony stellte seine Tasse ab und rieb mit den Handflächen über seine Jeans. » Wir drei waren die besten Freunde, Sarah. Warum bleibst du weg? Warum kommst du nicht wieder nach Hause?«
Die Frage war wie eine kalte Dusche, und sofort löste sich das Bild ihres Bruders auf. Sarah versuchte zu antworten, aber sie bekam keinen Ton heraus.
» Du kannst Wangallon nicht vergessen. Und ich kann den letzten Tag am Fluss nicht vergessen, als ich dich gebeten habe zu bleiben. Es hat eine Weile gedauert, aber letztendlich habe ich deine Entscheidung verstanden. Jetzt jedoch ist es etwas anderes. Ich glaube, du ringst immer noch mit dir.«
Sarah blickte stumm auf den Garten. Anthony stand auf und trat neben sie. Ihre dicken Haare fielen ihr übers Gesicht und verbargen das vertraute Profil. Eine kleine Ader pochte unter der zarten Haut an ihrer Schläfe. Zögernd hob Anthony die Hand.
Sarah schluckte. Warum fiel es ihr so schwer, ihm eine Antwort zu geben?
Anthony ließ die Hand wieder sinken. Er spürte ihre Nervosität.
» Ich muss jetzt gehen.« Sarah drängte sich an ihm vorbei und holte tief Luft, als er plötzlich so nah war. Anthony packte sie an den Schultern und küsste sie. Sarah erwiderte den Kuss nicht sofort, aber dann umfasste sie sein Gesicht und fuhr mit dem Finger über die Narbe, die sie schon als Teenager fasziniert hatte. Sein Kuss war tief und rein, und Sarah ließ sich von seiner Leidenschaft einhüllen. Dann aber stand ihr auf einmal Jeremys Bild vor Augen, und sie löste sich von Anthony, rannte aus dem Zimmer, am ehemaligen Schlafzimmer ihres Bruders vorbei und hinaus an die frische Luft.
Draußen, in relativer Sicherheit, setzte
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