Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
schlief Sarah unruhig. Immer wieder trieben ihre Gedanken zu den Gordons und zu einer Zeit, die sie nie erlebt hatte. Sie schwebte hoch über Wangallon und betrachtete die dünnen Linien der Zäune, die das weite Land durchzogen, erworben durch Diebstahl und getauft mit Blut. Die Luft war trocken, und sie bekam kaum Luft. Nervös und unruhig erwachte sie und blickte sich im Halbdunkel in ihrem spärlich möblierten Zimmer um. Das Land war viel heiliger als jeder Einzelne von ihnen ahnte. Die Aborigines wussten das. Sie hatten viele Jahre in und um Wangallon gelebt. Vielleicht war um Wangallon ein großer Zauber gelegt, so dass Generation um Generation dort bleiben musste. Dann waren da die Großonkel und Halbonkel, kleine Kinder, Halbwüchsige oder Männer, die immer wieder gestorben waren: der Bruder ihres Urgroßvaters, der Halbbruder ihres Großvaters, Luke, und ihr eigener Bruder. Nur die Generation ihres Vaters war ungeschoren geblieben. Ihr Vater war ein Einzelkind. Schützte Wangallon sich auf diese Art selbst? Der Besitz würde nie aufgeteilt werden, weil es in jeder Generation nur einen einzigen Erben gab. Wenn sie dort blieb und Kinder bekam, würde dann nur eines überleben?
Sarah stand auf und machte sich Kaffee. Es war unheimlich ruhig um diese frühe Morgenstunde. Halb erwartete sie, einen Hund heulen zu hören oder das Rascheln eines kleinen Tieres auf dem Blechdach. Aber in ihrem Kopf hörte sie noch nicht einmal die alte Eule von Wangallon. Sie stellte sich vor, wie sie in ihrem Baum saß und auf Mäuse und kleine Eidechsen im Garten lauerte. Es war Zeit, Tongue zu verlassen. Ihre Träume von Wangallon hatten ihr erneut klargemacht, wie wichtig das Land war und dass die Beziehung ihrer Familie dazu nicht im Zorn gelöst werden konnte. Und Anthonys Bedeutung für die Zukunft der Farm konnte sie auch nicht leugnen. Ungeachtet seiner Motive mussten sie Freunde sein.
Winter, 1987
Wangallon Station
Angus zog seine Öljacke fest um sich. Der einzige warme Fleck an seinem Körper kam von der Blechtasse mit Kaffee, die er fest umklammert hielt, und der Stelle an seinem Bein, an die Shrapnel seinen Kopf drückte. Sein Hinterteil hatte jedes Gefühl verloren, so unbequem, wie er auf diesem umgestürzten Baumstumpf saß. Ihm gegenüber hockte Anthony auf einem umgedrehten Zwanzig-Liter-Ölfass. Er schüttete gerade den letzten Rest seines schwarzen Tees in das Lagerfeuer. Die Tropfen brachten die glimmenden Scheite zum Zischen. Der Junge wirkte erschöpft, aber das waren sie wahrscheinlich alle. Es gab kaum etwas Anstrengenderes, als bei einer solchen Kälte und diesem beißenden Südwind zu arbeiten. Angus legte seine Hand schützend auf Shrapnels Kopf und wandte sich seinem jungen Verwalter zu.
» Lass Dave und Lyle nach Hause fahren, wenn sie die letzten Stiere zusammengetrieben haben. Sie können die Pferde mitnehmen und die Ausrüstung einpacken.«
» Willst du nicht mitfahren?« Anthony streckte seine langen Beine aus. Die Kälte stach wie mit Nadeln.
» Was, und dich und Pete hierlassen, damit ihr in aller Ruhe den schönen Tag genießen könnt?«
Sie waren meilenweit von Wangallon entfernt an der Südgrenze. Angus übernachtete nur im Freien, weil es praktischer war, denn es dauerte sowieso schon mindestens zwei Tage, achthundert Zuchtbullen für den Markt zu verladen, wenn man An- und Abreise mitrechnete. Und dieses Mal war es so kalt, dass Angus jede einzelne Minute gefroren hatte.
» Wir brauchen nur noch einen Waggon zu beladen. Bist du dann so weit?«
Angus blickte finster in den Wind. Er hatte diese Arbeit schon vierzig Jahre lang gemacht, bevor der Junge hier überhaupt geboren war. Er nahm ein kleines Schokoladenplätzchen aus der Tasche und gab es Shrapnel, der die Schokoladenstückchen zerkaute wie ein Kind. Schade, dachte er. Früher waren das seine Lieblingsplätzchen gewesen, aber in seinem Alter musste er sich mit weicherem Gebäck begnügen. Bei dem Gedanken daran betastete er vorsichtig seine Kiefergelenke. Sein Gebiss saß nicht mehr richtig, seit er es am Morgen mit dem Taschenmesser aus dem Eis in der Blechtasse hatte bohren müssen.
» Sie kommt bald wieder nach Hause.« Er erzählte Anthony von der bevorstehenden Rückkehr seiner Enkelin. Wenn Sarah sich bei ihrem nächsten Gespräch immer noch nicht mit seinen Bedingungen einverstanden erklärte, würde er sie enterben. Aber er musste das Interesse des Jungen wach halten, und die Nachricht von der gelösten Verlobung war
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