Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
einer Beziehung?«
» Na, wer schon? Mrs Macken.« Mrs Jamieson stand auf, zupfte an ihrem Baumwollkleid und zog ihre verschlissene Strickjacke eng um sich. » Außerdem lieben Sie jemand anderen.«
Die Unterhaltung kam Sarah sehr sprunghaft vor. Sie schüttelte den Kopf.
Mrs Jamieson warf ihr einen wissenden Blick zu. » Ja, Sie rennen vor Ihrem Erbe davon, und Sie fühlen sich genauso verloren in ihrem Leben wie Jim. Eine Hälfte fehlt ihm, Mädchen, und er weiß nichts davon: sein Vater.«
» Sein Vater?« Sarah kniff verwirrt die Augen zusammen.
» Mädchen, ich sehe Sie an und sehe mich selbst. Ich sehe Sie an und… Sarah Gordon, Ihr Land ist Ihnen wesentlich wichtiger als alles andere. Sie lieben es, wie ich meins liebe. Ich glaube nicht, dass Sie Ihre Heimat im Stich lassen würden, selbst wenn Ihnen Jim etwas bedeuten würde.« Mrs Jamieson griff zögernd in die Tasche ihres Kleids, und ihre Hand bebte, als sie eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie herauszog. » Das sehe ich in Ihren Augen, so deutlich, wie ich es in denen Ihres Vaters gesehen habe.«
Sarah nahm das Foto entgegen. » Mein Gott, das ist ja Dad!«
» Trinken Sie das.«
Sarah trank den Whisky aus, den Mrs Jamieson ihr zu dem frischen Kaffee eingeschenkt hatte. Sie dachte an die Fotos im Büro ihres Vaters in West Wangallon. Einige davon hatten sie so fasziniert, dass sie sie in ihrer Wohnung in Sydney aufgehängt hatte. Das Cottage, in dem sie jetzt wohnte, war auf einem der Fotos gewesen. Warum war ihr das nicht schon viel früher aufgefallen?
» Der Stolz, Mädchen, der Stolz verhindert manches auf der Welt. Er hält Menschen davon ab, denen die Wahrheit zu sagen, die sie am meisten lieben.« Mrs Jamieson trank einen kräftigen Schluck von ihrem Whisky. » Maggie Macken weiß jetzt, wer Sie sind, Sarah, aber wie sollte sie Ihnen das sagen? Sie würde ihrem Sohn das Herz brechen. Sie hofft, dass Sie abreisen. Sie wollte immer nur, dass ihr Junge glücklich ist, aber selbst wenn eine Romanze zwischen euch beiden jungen Leuten möglich wäre, würden Sie Wangallon doch für niemanden verlassen, geschweige denn für Jim. Maggie und ich, nun, wir haben uns nie gut verstanden, wegen Ihres Vaters, aber in diesem Fall sind wir uns einig, dass es so am besten ist.«
» Am besten?« Sarah stand auf. Ihr Kopf pochte von dieser bizarren Unterhaltung. Ihre Handflächen waren feucht vor Schweiß. » Ich verstehe das alles nicht. Wieso haben Sie ein Foto von meinem Vater, und wie um alles in der Welt kommen Sie auf die Idee, dass zwischen Jim und mir etwas sein könnte? Darauf wollen Sie doch hinaus, oder?«
» Maggie liebt ihren Sohn. Sie hat ihn immer geliebt, wissen Sie, genau wie ich. Wie kann man ihr einen Vorwurf daraus machen, dass sie immer nur das Beste für ihn gewollt hat? Diejenigen, die die Geschichte kennen, würden auf jeden Fall den Mund halten. Aber andere sicher nicht. Wir sind eine kleine Gemeinde, Sarah Gordon. Zu klein für Ihre Träume, und selbst wenn Sie beide hier weggehen würden, dann würden wir unter dem Klatsch jahrelang leiden.«
» Klatsch? Wovon sprechen Sie?« Sarah blickte sie unsicher an.
» Dieser Ort liegt uns genauso im Blut wie Ihre Heimat Ihnen. Und wenn Sie auf Ihr Herz hören, werden Sie die Wahrheit wissen. Jim ist Ihr Halbbruder.«
Sarah sah die Gesichter der Männer in ihrer Familie vor sich, sah ihre intensiv dunkelblauen Augen, hörte Maggie Mackens Beschreibungen eines Landes, das sie noch nie gesehen hatte.
» Robert Macken ist nicht Jims Vater.«
Sarah zogen sich die Eingeweide zusammen.
» Jim weiß nicht, dass Sie seine Halbschwester sind, Sarah, und es ist auch besser so. Sie müssen die Freundschaft beenden.«
Viel später, nachdem Sarah ein paar Löffel Gerstensuppe gegessen hatte, wurde ihr Kopf ein wenig klarer. Jetzt wusste sie, warum ihr Vater so wenig begeistert gewesen war, als er von ihrer Reise erfahren hatte.
» Ich habe meinen einzigen Bruder Cameron bei einem Reitunfall verloren. Jeden einzelnen Tag meines Lebens… Ich sehe so viel von ihm in Jim. Er hat eine ähnliche Art, mit Menschen umzugehen, Witze zu machen, sich um alles zu kümmern, als ob, als ob…«
» Als ob es der letzte Tag seines Lebens wäre?«, beendete Mrs Jamieson für sie den Satz. » Es ist leicht, die Draufgänger zu lieben, weil wir sie eigentlich nicht verstehen. Aber Sie lieben Jim um Ihres Bruders willen. Sie wollen das alles in ihm sehen, aber er ist kein Draufgänger, er ist zuverlässig,
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