Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
entlang, wo die Feuchtigkeit schon tief in die Wandtapeten gedrungen war. » Aber es sind ja sowieso hauptsächlich nur Kleidungsstücke und die Möbel, die wir nicht rechtzeitig wegräumen konnten. Die Teppiche sind ruiniert, die Wände müssen neu tapeziert werden, und die Dielenböden und Fundamente müssen wahrscheinlich völlig überarbeitet werden. Abgesehen davon sind es ja nur Erinnerungen.«
Sarah merkte ihrem Vater an, wie traurig er war. Sie verstand ihn gut; Erinnerungen hielten ihre Existenz zusammen.
» Ich schaue nur noch rasch ins Büro.«
» Ich bin sicher, dass ich alles habe, Dad.«
» Nicht ganz.«
Ronald watete in sein Büro und zog einen wasserdichten Umschlag aus seiner Jackentasche, in den er den gesamten Inhalt einer Schreibtischschublade packte. Sarah sah alte Briefe und Fotos, die sauber zu Bündeln zusammengeschnürt waren.
Ronald spürte das Interesse seiner Tochter. » Das ist alles aus Schottland. Einmal war ich da«, sagte er.
» Ich weiß, das hast du mir erzählt.«
Ronald versiegelte den Umschlag. » Unsere Vorfahren sind von dort gekommen.«
» Vielleicht fahre ich auch eines Tages hin. Dir hat es dort gefallen.«
Ronald schüttelte den Kopf. » Es gibt bessere Orte, an die man reisen kann, Sarah.«
» Aber du hast doch die Fotos behalten.«
» Ja«, erwiderte er. » Ich habe die Fotos behalten.«
» In diesem Haus gibt es viele Erinnerungen, Dad.«
Ronald legte ihr die Hand kurz auf die Schulter. Sarah dachte an ihren geliebten Bruder und lächelte traurig.
» Komm, lass uns zu deinem Freund zurückrudern.«
Auf dem Weg zurück nach Wangallon saß Sarah still und gedankenverloren im Boot. Es war immer schwierig, an Feiertagen nach Hause zu kommen, aber dieses Weihnachten war es besonders hart. Seit Camerons Tod ertrug sie es nicht mehr, häufiger als einmal im Jahr zu Weihnachten nach Hause zu fahren. Es kam ihr immer so vor, als ob sie noch einmal an den Tatort zurückkehrte. Sie streifte durch die Gegend und suchte alle Orte auf, die Erinnerungen an ihren Bruder bargen, um sie mit ihrer Pentax zu dokumentieren. Unweigerlich erlebte sie dann den schrecklichen letzten Tag noch einmal, und die anklagenden Worte ihrer Mutter kamen ihr wieder in den Sinn. Anfangs hatte Sarah geglaubt, sie wolle nur eine Zeit lang von Wangallon wegbleiben, aber nach fast drei Jahren fühlte sie sich in dem Land, das sie früher so geliebt hatte, immer noch wie eine Fremde.
Die Beziehung zu ihrer Mutter existierte so gut wie nicht, und ihr Vater war oft den ganzen Tag lang auf Wangallon unterwegs. Nicht einmal in all den Monaten seit Camerons Tod war darüber geredet worden, wer denn jetzt eigentlich der wahre Vater von Cameron war. Sarah versuchte, ihren Vater ein oder zwei Mal darauf anzusprechen, aber er reagierte auf ihre Versuche nur mit Schweigen.
» Hör auf damit«, befahl er schließlich eines Nachmittags. » Er ist tot. Es spielt keine Rolle mehr.«
Aber für Sarah spielte es doch eine Rolle. Sie wollte wissen, warum es passiert war. Warum sie seit ihrer Geburt getäuscht worden war.
» Schlimm?« Jeremy wusste, dass er das fragen musste, aber als er die Gesichter von Sarah und ihrem Vater sah, hoffte er eher, dass sie ihm die Details ersparen würden. Sarah ließ sich schwer auf die Tischkante sinken. Natürlich war er gewarnt; bei Sarah konnte man sich immer darauf verlassen, dass sie alles ganz detailliert erklärte, aber er hatte ihr nicht wirklich zugehört, oder, genauer gesagt, er war nicht in der Lage gewesen, sich eine Flut wirklich vorzustellen. Jeremy warf Ronald einen mitfühlenden Blick zu und konzentrierte sich dann auf das desolat aussehende Geschöpf, in dessen Kleidung der faulige Gestank von schmutzigem Wasser zu haften schien.
» Zieh dich besser um«, schlug er vor und setzte sich neben sie.
» Ja, geh duschen«, stimmte Ronald ihm zu. » Und falls du kleinere Schnitte oder so hast, benutz dieses Desinfektionsmittel. Ich gehe ebenfalls duschen. Machst du ihr bitte einen Kaffee, Jeremy?«
» Natürlich.« Froh darüber, sich nützlich machen zu können, füllte Jeremy den Wasserkocher aus Edelstahl und schaltete ihn ein.
Sarah wischte einen Moskito weg. » Es tut mir leid. Wenn ich gewusst hätte, dass es hier so aussieht, hätte ich dich über Weihnachten nicht mit hergeschleppt.«
Sie hatten sich bei einer Vernissage kennengelernt. Sarah wich Jeremys häufigen Anrufen aus, schützte viel Arbeit und Aufnahmen außerhalb der Stadt vor, und witzelte
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