Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
und zog den Rauch tief in seine Lungen. Sarah lehnte am hinteren Tor. Er betrachtete ihre schlanke Gestalt. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen, und ihre Hände spielten mit dem Riegel am Tor. Das Mädchen litt noch immer. Er wusste, wie nahe sich seine Enkelkinder gestanden hatten, und er hatte damit gerechnet, dass Sarah so trauern würde wie sie alle, aber dass sie weggehen würde, hatte er nie vermutet. Sarah war stark, gescheit, hatte einen Sinn für Humor und Loyalität, den man heutzutage bei der Jugend nicht mehr so leicht fand, aber sie war auch überempfindlich und besaß den verdammten Stolz der Gordons. Er hatte sich immer gedacht, dass sie die Farm mit ihrem Bruder zusammen leiten würde, schließlich war sie die Intelligentere. Cameron war der Praktische gewesen, der Junge mit dem Tierverstand. Sarah mit ihrem Mann und auch Cameron mit seiner Frau hätten den Besitz für die nächsten Generationen erhalten können. Dann hätte keiner von ihnen in die Stadt ziehen und um Geld zu betteln brauchen, wenn die Dinge mal nicht so liefen, wie man es sich vorstellte. Aber es hatte ja niemand vorhersagen können, dass der Junge starb.
Gott, er fragte sich jeden Tag, wie es so weit hatte kommen können. Aber er konnte ja schließlich seinem Enkel nicht vorwerfen, dass er gestorben war. Sturmwolken hatten sich zusammengebraut, kaum dass Sue ihren Fuß auf das Anwesen gesetzt hatte, und Ronald besaß einfach nicht genug Mumm, um alles im Griff zu behalten. Angus zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und zertrat den Stummel dann mit dem Absatz seines Stiefels. Er konnte ja nicht einfach diesen Schwächling Jeremy loswerden und Sarah befehlen, dass sie wieder zurückkommen sollte. Die alten Zeiten, in denen man mit Geld alles regeln konnte, waren vorbei. Aber er war ja noch nicht tot. Sarah war wieder zu Hause und Anthony ebenfalls.
Es musste doch irgendeine Lösung geben, dachte Angus. Er glaubte nicht eine Sekunde lang, dass Sarah ihre Fotogeschichte so viel bedeutete, dass sie deshalb in Sydney blieb, und es lag wohl hoffentlich auch nicht an Jeremy. Es war an der Zeit, dass er ein bisschen über das Leben seiner Enkeltochter außerhalb von Wangallon erfuhr und vor allem über ihre Beziehung zu diesem anämischen Buchhalter. Es war an der Zeit, jemanden um einen Gefallen zu bitten. In Gedanken ging er eine Namensliste durch und blieb bei Matt Leach hängen. Er musste wissen, wie er seine Enkelin wieder nach Wangallon zurücklocken konnte. Und für den Fall, dass seine Familie vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen konnte, konnte ein bisschen gesunder Wettbewerb auch nicht schaden. Gestern hatte er Anthony zum Verwalter der gesamten Farm gemacht.
Ronald tauchte mit einem Karton in der Hand aus dem Haus auf und ging schweigend den hinteren Weg entlang, vorbei an seiner Tochter, zu seinem Auto. Eine glückliche Familie, murmelte Angus und rieb sich die Hände. Für diesen späten Frühlingstag war es ungewöhnlich kühl, aber heute Mittag würde es wieder heiß werden. Er brauchte einen Drink, einen guten Whiskey, ohne Eis und Wasser, und dann etwas Anständiges zu essen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Anthony, der halb hinter den Bäumen verborgen stand. Unwillkürlich musste er grinsen. Den Jungen hatte er sich herangezogen. Er hatte genau die richtigen Charakteristika, wenn frisches Blut in die Familie kommen sollte. Allerdings hatte Angus nicht damit gerechnet, dass seine Enkelin nach Sydney ziehen würde. Und außerdem war der Junge viel zu sehr Gentleman. Sie fühlten sich doch zueinander hingezogen, warum ging er denn nicht endlich zur Sache? Er hatte ihm doch klargemacht, dass er in der Familie willkommen war, was hielt ihn also zurück?
» Gute Manieren, pah!«, murmelte Angus, und Shrapnel gähnte wie zur Bestätigung.
Es war wichtig, sich wie ein Gentleman zu geben, wenn es ums Geschäft ging… Aber bei Frauen… Nun, er hatte seine Frau Angie damals einfach genommen. Sie war zwanzig und auf einer großen Farm in Western Queensland als Gouvernante angestellt. Angus hatte sie erst zweimal gesehen, und dann hatte er mithilfe seines Halbbruders Luke die Tür zu den Frauenunterkünften aufgebrochen– sie wurden jede Nacht verriegelt, damit die Viehtreiber nicht hereinkamen– und sie auf seinem Pferd entführt. Zugegeben, das waren die Zwanzigerjahre, aber Liebe war schließlich Liebe.
Angus blickte sich um. Der Himmel war grau, was bedeutete, dass sich ein Staubsturm zusammenbraute.
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