Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
Wangallon standen Gordons. Als das Auto schließlich weiterfuhr, lief es Sarah kalt über den Rücken. Ihre Seelen würden immer hier auf dem Land der Gordons bleiben.
» Deinem Dad wird es gut gehen, Sarah. Er wird seinen Ruhestand genießen.«
Anthony stand neben ihr. Er roch nach frischer Seife und nach Aftershave. In den letzten zwei Tagen hatten sie nur wenig miteinander geredet. Sarah hatte ihn kaum gesehen.
» Er hat gemeint, sie wollten ein wenig reisen, und mit dem Geld aus dem Verkauf…«
» Reisen?« Sarah ballte die Fäuste. » Sag mir doch, warum gerade meine Familie zerbricht. Warum, Anthony? Seit über hundertachtundzwanzig Jahren sind wir hier, mein Gott, mehr als die Hälfte der britischen Besiedlung dieses Kontinents. Und jetzt sieh uns an.« Sie schluckte und wischte sich die Nase am Ärmel ihres hellblauen Pullovers ab.
» Sarah, dein Großvater ist immer noch hier«, sagte Anthony leise. Er war ihr in den letzten Tagen aus dem Weg gegangen. Es war nicht seine Aufgabe, sie zu besänftigen und ihr klarzumachen, dass Angus ihrem Vater nicht vorschreiben konnte, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Das wusste Sarah sicher auch. Oder nicht? Sie war immer noch wütend, weil ihr Vater ihr gesagt hatte, er wolle sich zur Ruhe setzen, und jetzt tat sie so, als zerfiele ihre ganze Familie. Sie war zwar nur noch einmal im Jahr auf Wangallon gewesen, aber es lag auf der Hand, wie sehr sie noch darauf angewiesen war, dass ihre Eltern ihr Stabilität vermittelten, auch wenn ihre Beziehung zu ihnen schwierig war. » Mach dir keine Sorgen«, sagte er schließlich.
» In fünf Jahren ist Dad tot, Anthony.«
» Sarah, es kommt schon alles in Ordnung. Ich sorge dafür.«
» Wie willst du das denn machen?«
» Na ja, für den Anfang kann ich mich ja auf Wangallon schon mal um alles kümmern, bis du wieder nach Hause kommst. Ich bin jetzt Farmverwalter, und…«
Sarah keuchte. » Farmverwalter? Mann, du hast ja eine rasante Karriere gemacht.« Sie wusste, dass sie ihm eigentlich gratulieren müsste, aber stattdessen schob sie die Hände tief in die Taschen ihrer Jeans und ging zum Land Cruiser. Sie rutschte über den kühlen Ledersitz.
» Hey, Sarah. Du hast das alles hier zurückgelassen, erinnerst du dich?« Anthony breitete die Arme aus. » Wenn du wieder teilhaben willst, wäre ich der Erste, der dich zu Hause willkommen heißt«, fügte er leiser hinzu.
Sarah umklammerte das Lenkrad. Es war nicht seine Aufgabe, sie zu Hause willkommen zu heißen, wenn sie zurückkommen wollte. » Du hättest mir sagen können, dass Dad gehen wollte.«
» Hey, es liegt nicht in meiner Verantwortung, dich über die Entscheidungen in deiner Familie zu informieren. Wenn du zurückkämest und dich ein bisschen interessierter zeigen würdest, dann würde die Familie vielleicht…«
Sarah schnitt ihm das Wort ab, indem sie einfach den Motor anließ. Anthony war selbstbewusst geworden, und das gefiel ihr nicht.
» Ich bin jetzt schon lange bei deiner Familie, Sarah«, rief er hinter ihr her. » Und ich glaube nicht, dass einer deiner Vorfahren jemals vor seiner Verantwortung davongerannt ist. Ich sehe es dir doch an: Du weißt ganz genau, dass du hier sein solltest, statt dich mit diesem Schwächling in Sydney herumzutreiben. Wovor läufst du denn weg?«
» Vor gar nichts!«, schrie Sarah. Sie trat aufs Gaspedal und ließ Anthony einfach stehen.
In jener Nacht fand Sarah keinen Schlaf. Mit offenen Augen lag sie im Bett und hielt Wache. Wenn nun jemand auftauchen sollte? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Vorfahren die Flucht ihres Vaters auf sich beruhen lassen würden. Sie hatten bestimmt etwas dazu zu sagen.
Schließlich schlief sie doch ein. Sie träumte, sie schwebte zu West Wangallon, schaute ins Fenster. Es waren Gestalten im Haus, formlose Schatten, ohne Gesichter. Dann rief sie eine Stimme, und sie wandte sich vom Haus ab.
Die Kühle der Berge ließ nach, als sie an ihrem Fuß im sanften Hügelland ankam und schließlich die flache Steppe erreichte. Die Straße war gerade und der sternenübersäte Himmel unendlich weit. Sie hörte leise Harfen- und Geigenmusik. Eine Frau erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie war blass, mit feinen Zügen und goldenen Haaren; Kinder standen neben ihr. Dann verschwanden die Kinder, und die Frau ging durch ein Gehege, wobei ihre langen Röcke über das Gras schleiften. Sie blickte über ihre Schulter, und Sarah sah die Traurigkeit in ihren Augen.
Sarah erwachte von
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