Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
kein…«, Colin hievte den Kadaver auf die Ladefläche, » …kein Ferienlager.« Sie rief irgendetwas, aber da hatte er bereits den Motor angelassen und fuhr los.
Die Luft war trocken. Shrapnel kratzte sich heftig, um die kleinen Insekten, die um ihn herumschwirrten, loszuwerden. Die tagaktiven Geschöpfe begaben sich langsam zur Ruhe, und das Zirpen der Grillen wurde lauter. Die Hunde suchten sich eine kühle Ecke zum Schlafen. Ein Pferd wieherte, aber möglicherweise war der Laut von weither durch die Luft getragen worden. Das war Sarahs Lieblingszeit, kurz nach Sonnenuntergang, wenn langsam alles stiller wurde. Im Haus duschte ihr Großvater. Gleich würde er sich die Nachrichten anschauen. Leichter Wind kam auf, als sie zum Hausteich lief, wo Schlamm die Wasserzufuhr verstopfte. Normalerweise wurde das Wasser aus dem Teich in einen großen unterirdischen Tank gepumpt, um von dort aus über Rohre ins Haus zu gelangen. Da der Teich aber mittlerweile ausgetrocknet war, lockte der Tank alle möglichen Kleintiere an, von Mäusen bis hin zu Schlangen. Es war besser, nicht hineinzusehen, bevor man duschte; allein der Geruch der ertrunkenen Tiere reichte schon aus.
Die warme Abendbrise liebkoste Sarah, als sie um das Ufer des gestauten Teichs herumlief. Unter einer großen Schwarzeiche scharrten fünf Kängurus mit ihren Jungen im Gras. Die hungrigen Tiere suchten nach Wurzeln, wobei ihre Ohren ständig wachsam zuckten. Als Sarah näher kam, pfiff sie laut, um sie zu verscheuchen. Sie rochen das Wasser unter dem Schlamm, aber wenn sie erst einmal darin feststeckten, würden sie nicht mehr weghüpfen können. Jetzt entfernten sie sich hastig in Richtung eines Wassertrogs, der für das Vieh auf einer der Hausweiden stand.
» Was machen deine Kriegsverletzungen?«
Sarah war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie Anthony gar nicht kommen gehört hatte. Er hockte sich neben sie auf den Baumstumpf. Instinktiv hob sie die Hand, um die Schürfwunde auf ihrer Wange zu betasten. » Es tut weh«, erwiderte sie und überlegte, ob sie Colins Verhalten zur Sprache bringen sollte.
» Ich wollte nur ein paar Unterlagen holen, und da sah ich dich hier sitzen.«
Sarah betrachtete unwillkürlich die feinen goldenen Härchen auf seinen gebräunten Unterarmen. Sie blickte zu den Männerunterkünften, deren Lichter durch die Bäume schimmerten, und öffnete den Mund.
» Ja?«
» Nichts.« Ein Streit war das Letzte, was sie jetzt wollte. » Na ja, es geht um Colin.«
» Du weißt schon, dass wir nur noch zwei Vollzeit-Cowboys haben, oder? Die anderen beiden sind vor einem halben Jahr entlassen worden.«
» Ja.«
» Die Zäune lassen wir von Bauunternehmern reparieren, aber wenn wir sonst jemanden brauchen, ist es heutzutage fast unmöglich, jemanden zu bekommen. Die Leute gehen entweder alle nach Norden oder an die Küste, um zu arbeiten.«
» Ich habe über Colin geredet.«
» Ich auch. Uns steht eine Dürre bevor, Sarah. Es ist schwer, Leute zu bekommen.«
» Ich weiß, aber…«
» Lass uns nicht über Colin reden. Ich kümmere mich schon darum. Deshalb habt ihr mich doch eingestellt, oder?«
Es war das erste Mal, dass Anthony so deutlich über seine Position auf Wangallon sprach. Es kam ihr seltsam vor, als ob auf einmal eine Mauer zwischen ihnen wäre. » Okay.«
Anthony lehnte sich gegen den Baumstamm. Zwei Schritte vorwärts mit Sarah bedeuteten immer auch drei zurück. Zuerst der Unfall, und jetzt beschwerte Colin sich, Sarah wolle, dass er entlassen würde. Er sah, dass sie in den Sternenhimmel blickte. Hier draußen, weit entfernt von den hellen Lichtern der Stadt, schimmerten sie wie Kristalle am Nachthimmel.
» Es ist nicht so klar wie sonst. Der Staub trübt die Luft«, sagte Anthony leise. Er war froh, dass sie wenigstens hier sitzen und reden konnten. Eigentlich hatten sie nur Wangallon gemeinsam, dachte er. Das und eine emotionale Vergangenheit. Jemand hatte mal zu ihm gesagt, dass Menschen nur aus zwei Gründen zueinanderfinden: gemeinsame Interessen und/oder gemeinsame Leidenschaft. Vielleicht war Wangallon ja nicht genug. » Mein Dad hat gerade die Nachbarfarm gekauft«, sagte er. » Wenn ich wollte, könnte ich jetzt nach Hause zurückkehren. Jetzt ist genug Land für mich und meinen Bruder da.« Er wartete auf Sarahs Antwort. Jetzt, wo sich ihm die Gelegenheit bot, wieder nach Hause zurückzukehren, hatte er kein Interesse mehr daran. Sein Leben spielte sich in Wangallon ab. Sarah hatte recht
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