Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
Sarahs Schritte verklungen waren, dann betrat er Roses Schlafzimmer, zog die Bettdecke glatt und öffnete die Vorhänge, damit die Nachmittagssonne in das Zimmer scheinen konnte. Als er ging, schloss er die Tür fest hinter sich.
Es dämmerte. Shrapnel trottete langsam den Betonweg entlang. Er setzte sich neben Sarah auf die Hintertreppe und legte den Kopf auf ihr Knie. Gähnend streckte er sich aus, dann schlief er ein. Sarah streichelte ihn. Manchmal zuckte eins seiner Hinterbeine im Schlaf, und er gab leise Laute von sich. Seit letztem Jahr hinkte er, weil er einen wilden Eber zur Strecke gebracht hatte, der die jüngsten, schwächsten Lämmer gerissen hatte. Angus hatte den Eber letztendlich erschossen, aber vorher war es dem Wildschwein noch gelungen, Shrapnels Hinterbein mit seinen Hauern aufzureißen. Liebevoll fuhr Sarah mit dem Finger über die Narbe.
Früher am Tag war Sarah im Schatten der Bäume entlanggegangen, unter denen die Hundezwinger standen. In der weitläufigen Anlage wurden die schwarz-weißen Arbeitshunde gehalten, ohne die auf Wangallon die riesigen Herden gar nicht zu bewältigen wären. Sie hatte beobachtet, wie Colin einen noch warmen Känguru-Kadaver von der Ladefläche des Toyota gezerrt hatte. Es war üblich, das Trockenfutter für die Hunde mit Frischfleisch zu ergänzen. Sarah sah zu, wie er das tote Tier geschickt zerteilte. Dabei erläuterte er, an welchen Stellen man am besten das Messer ansetzte, und an welchen Stellen die Knochen am leichtesten brachen.
Sarah lauschte ihm aufmerksam. Sie war überrascht, mit welchen Kenntnissen er an diese grundlegende Arbeit heranging. Innerhalb von zehn Minuten war er fertig, und jeder der Hunde kaute zufrieden an einem großen Stück Fleisch.
» Warum hast du heute früh mit der Peitsche geknallt?«, fragte sie schließlich.
» Habe ich nicht.«
» Es hat wenig Zweck, es zu leugnen.«
» Glaub doch, was du willst.«
Es hatte keinen Sinn, sich mit ihm zu streiten. Offensichtlich wollte Colin nicht zugeben, dass er einen Anteil an dem Unfall hatte. Erst als sich Sarah schon zum Gehen wandte, bemerkte sie den Beutel.
» Colin, du hast ein Muttertier getötet. Was ist mit dem Jungen?«
Der Cowboy stieß sein Messer in den Boden und wischte sich die blutigen Hände an seinem bereits schmutzigen T-Shirt ab. Sie kannten beide die Regeln: Töte nie ein Känguru, das ein Junges im Beutel hat. Colin zog eine Zigarette aus der Packung. An seinen Fingern klebten getrocknetes Blut und Fell.
» Es ist tot. Ich habe sie mit dem Auto gejagt und das Junge überfahren.«
» Was?« Großvater hatte ihnen immer eingebläut: Wenn ihr Respekt vor dem Busch habt, hat der Busch auch Respekt vor euch. Natürlich machten sich die Kängurus über sein Getreide her, und die Hunde mussten auch gefüttert werden, aber Muttertiere mit Jungen zu erschießen, entsprach nicht den Vorstellungen ihres Großvaters von natürlicher Selektion.
» Hör mal, Sarah«, Colin zog an seiner Zigarette, » wenn es dir nicht passt…«
» Darum geht es nicht. Es geht um richtig und falsch.«
Colin schnaubte verächtlich. Er zog sein Messer aus der Erde und wischte es noch einmal ab, bevor er es wieder in die Scheide steckte. Sarah verschränkte die Arme.
» Dein Boss ist mein Großvater. Er erwartet…«
Colin warf die Zigarette zu Boden und trat sie mit dem Absatz seines Cowboystiefels aus. » Mein Boss ist Anthony. Ich tue das, was er mir aufträgt.« Er bückte sich und ergriff den Hinterlauf des Kadavers. » Ich gehe nicht davon aus, dass du weißt, welche Aufgaben er mir überträgt. Wenn du dazu geschaffen wärst, im Busch zu sein, wärst du hier. Aber du machst nur Probleme und bringst Pferde um.« Er schleppte den Kadaver zum Toyota.
Wütend marschierte Sarah hinter ihm her. » Überleg dir gut, mit wem du redest, Colin. Ich weiß, dass du meinen Unfall verursacht hast. Glaub nicht, dass du unersetzlich bist. Ich kann Großvater ohne Weiteres bitten, dich zu feuern.«
Colin antwortete nicht sofort. Er hätte gerne etwas gesagt, was sie wirklich auf die Palme brachte. Die blöde Kuh. Aber er sollte sich nicht darüber aufregen, damit half er Anthony auch nicht. Außerdem leitete Anthony Wangallon, nicht der Alte. Natürlich gehörte ihm die Farm nicht, aber irgendjemandem musste der Alte sie ja hinterlassen, und er konnte sie ja wohl nicht einem Mädchen geben. Sein Job war sicher.
» Du erwartest auch bloß, dass alle auf dich aufpassen. Das hier ist eine Farm,
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