Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
arme Geschöpf schlachten konnte.
Mrs Cole warf ihr einen verweisenden Blick zu und hob das Kinn. Ihre drahtige Gestalt drängte sich an Claire vorbei zum Wagen, und sie ergriff die Kiste. » Sie ist ein bisschen dürr.« Sie schob einen knochigen Finger durch die Holzstäbe. » Aua.– Und sie beißt.« Die Ente begann laut zu schnattern. » Ich glaube, sie haben sie beleidigt, Mrs Cole.«
» Wenn Sie das nächste Mal eine Ente haben wollen, sagen Sie mir Bescheid, Miss, dann besorge ich eine, wenn ich einkaufen gehe. Sie brauchen sich jetzt nicht auch noch um den Haushalt zu kümmern.« Mrs Cole warf dem Federvieh einen grimmigen Blick zu. » Es wird mir ein Vergnügen sein«, versicherte sie Claire. » Ich schicke Humphries, damit er die Pferde in den Stall bringt.«
» Danke, Mrs Cole.«
» Das gibt feines Entenschmalz für meine Kuchen, und oh, ich kann sie jetzt schon schmecken.«
Im kleinen muffigen Salon zog Claire die neuen, rosenroten Vorhänge gegen die Mittagshitze zu und drehte die Petroleumlampe auf dem Kaminsims auf. Das Licht flackerte zuerst, wuchs aber dann zu einer ruhigen Flamme und der vertraute bittere Geruch breitete sich im Zimmer aus. Claire zog Haube und Handschuhe aus und hielt einen Moment inne, um ihr Spiegelbild zu betrachten. Ein ovales, gerötetes Gesicht, umrahmt von dicken schwarzen Haaren, die mit einem gewagten dunkelroten Band zusammengehalten wurden, blickte ihr entgegen. Claire schüttelte ihre Haare aus, band sie von Neuem zusammen und wandte dann ihre Aufmerksamkeit ihrem Vater zu.
Er lag dösend in seinem Lieblingssessel, einer alten, wackeligen Konstruktion, die kaum den Transport von ihrem kleinen Besitz außerhalb von Parramatta in ihr neues Heim überstanden hatte. Auf einem runden Tisch neben ihm lagen eine Bibel und zahlreiche ungeöffnete Briefe. Claire legte die zerschlissene Reisedecke über seine Knie und nahm ihm vorsichtig die Lesebrille aus der Hand.
» Da ist dir also gelungen, mich zu wecken?«
» Entschuldigung, Vater.« Claire nahm das Deckchen vom Wasserkrug und schenkte zwei Gläser ein. Eines reichte sie ihrem Vater.
» Das hat deine Mutter gemacht.« Er streckte die Hand nach dem Deckchen aus und betastete die winzigen grünen Perlen, die am Rand in langen Reihen herunterhingen, damit der Überwurf liegen blieb. Er drückte es fest an sich, dann gab er es Claire wieder.
» Mir fehlt sie auch, Vater.«
Er trank einen Schluck Wasser. » Du warst aus?«
» Auf dem Markt. Ich habe eine Ente zum Abendessen gekauft. Mrs Cole bereitet sie zu.«
» Was für eine Extravaganz«, wies ihr Vater sie zurecht.
» Eine Extravaganz, die wir uns ab und zu erlauben können«, schalt Claire ihn liebevoll. Vor Monaten schon hatte sie in Begleitung ihres Vaters eine Stelle gesucht. Sie konnten ihren kleinen Besitz am Ufer des Paramatta-Flusses nicht halten, und da der Gesundheitszustand ihres Vaters sich zunehmend verschlechterte, hatte Claire das als einzige Möglichkeit gesehen. Sie hatten ihr Anwesen und das Land, auf dem es stand, verkauft und waren in die Stadt gezogen. Claire hatte gehofft, dass sich ihre Lebensumstände verbessern würden, vor allem, wenn sie Gesellschafterin einer verwitweten Dame würde. Und dann erfuhr Claire kurz nach ihrem Umzug durch ein Schreiben, dass sie irgendwie einen Wohltäter gewonnen hatte.
» Es sieht so aus, als ob du eine Ausbildung erhalten sollst, meine Liebe.«
» Eine Ausbildung?«, stammelte Claire. Sie ergriff den Brief, den ihr Vater aus seiner Brusttasche zog, und studierte den Briefkopf: Wilkinson & Cross– Anwälte. Unter dem ungeduldigen Blick ihres Vaters überflog sie den Inhalt.
Unser Klient wünscht, Miss Claire Whittaker vom Beginn des nächsten Monats an die Vorzüge eines Privatlehrers zuteilwerden zu lassen. Dieses Arrangement findet an fünf Vormittagen in der Woche statt. Die zu studierenden Fächer sind Englisch, Latein, Geografie und Geschichte.
» Du liebe Güte!«
» Es steht noch mehr da, Liebes. Bist du noch nicht an dem Absatz, in dem es um das Klavier geht?«
» Ein Klavier?«
Des Weiteren wünscht unser Klient, dass Sie Pianoforte spielen lernen. Innerhalb der kommenden Wochen wird ein solches Instrument an Sie geliefert. Morgen wird sich ein Lehrer bei Ihnen vorstellen.
Mit den besten Grüßen …
» Vater, ich glaube es nicht.«
» Ich weiß gar nicht, wo wir das Klavier hinstellen sollen.«
» Vater!« Claire lachte. » Ein Klavier.«
» Ich war heute früh ebenfalls
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