Weites Land der Träume
verrostet und defekt. Doch Alice liebte das Haus, obwohl es bedeutete, dass sie jeden Tag zur Arbeit nach London fahren musste.
Sie und Teddy hatten sich geeinigt, dass sie ihre Stelle bei Professor Dixson behalten würde, doch Alice wusste, dass ihr Mann eigentlich dagegen war. Deshalb gab sie sich besondere Mühe, für ihn da zu sein, und schleppte sich oft völlig erschöpft direkt vom Bahnhof zu den gesellschaftlichen Anlässen, die mit seinem Posten an der Universität einhergingen, auch wenn die Belastung immer mehr an ihren Kräften zehrte. Allerdings bestand das hauptsächliche Problem nicht darin, sondern in Teddys Stimmungsschwankungen. Im einen Augenblick war er eifersüchtig und besitzergreifend, im nächsten nahm er ihre Existenz kaum zur Kenntnis, nur um sich dann wieder in einen aufmerksamen und leidenschaftlichen Liebhaber zu verwandeln. Die Ungewissheit, in welcher Laune sie ihren Mann antreffen würde, machte Alice reizbar und nervös. Die Bombe platzte, als sie sich eines frühen Samstagmorgens fertig machte, um den Zug zur Arbeit noch rechtzeitig zu erwischen.
»Wie stellst du dir unsere Ehe vor, wenn du sechs oder manchmal sogar sieben Tage pro Woche in London verbringst? Was, glaubst du, werden die anderen Dozenten und ihre Ehefrauen davon halten, dass ich dich bei jeder Einladung entschuldigen muss?« Gähnend setzte er sich im Bett auf und kratzte sich mürrisch am Kopf. Alice fand, dass er so niedlich aussah wie ein zerzauster Welpe.
»Es ist erst der zweite Samstag in den letzten drei Monaten«, protestierte sie und wollte ihn küssen. Doch er schob sie weg.
»Ich meine es ernst. Ist dir denn so langweilig, dass du ständig deinem tollen Professor und seinen verdammten Experimenten hinterherlaufen musst? Was ist mit unserem Haus? Oder damit, dass du mir bei meinen Forschungsarbeiten hilfst? Ich kann das doch nicht alles allein machen. Und wie soll ich Gäste bewirten, wie es von einem Dozenten am Trinity College erwartet wird, wenn du nie da bist?«
»Moment mal, jetzt wirst du aber unfair«, erwiderte Alice, erschrocken über die unerwarteten Vorwürfe. Sie sah auf die Uhr. »Liebling, können wir das nicht besprechen, wenn ich heute Abend nach Hause komme? Sonst verpasse ich nämlich meinen Zug.«
»Wenn ich dann noch da bin«, entgegnete Teddy unwirsch. Alice hatte keine Zeit, ihn zu fragen, was er damit meinte, denn vor der Tür hupte schon das Taxi. Sie war so wütend über sein unvernünftiges Verhalten, dass sie von der Fahrt nach London kaum etwas mitbekam.
Inzwischen vermisste sie es, Harry nicht einfach einen Spontanbesuch abstatten zu können. Ihre Freundin hatte sich endlich breitschlagen lassen, Roody zu heiraten. Und nach einer wunderschönen Hochzeit war das Paar nach Schottland gezogen, wo Roody inzwischen stationiert war. »Warum kann ich nicht wie Harry sein?«, dachte Alice erbittert, als sie mit den anderen Pendlern am Bahnhof Liverpool Street ausstieg. Bei ihrem letzten Telefonat hatte Harry überglücklich geklungen und es überhaupt nicht bedauert, Roody zuliebe ihren Beruf aufgegeben zu haben. Den ganzen Vormittag lang konnte Alice sich nicht auf die Arbeit konzentrieren.
»Ich denke, es ist wieder einmal Zeit für eine Tasse Kaffee«, schlug Professor Dixson mit Nachdruck vor und animierte Alice zu einer Kaffeepause. Während sie ihr Brötchen zerpflückte, erzählte sie ihm, sie und Teddy hätten ihren ersten Streit gehabt, weil er gefordert habe, dass sie ihre Stelle im Labor kündigte.
»Ich verlange wie immer viel zu viel von Ihnen«, seufzte Professor Dixson. »Rosie hat mir erst letztens deshalb die Leviten gelesen. Ich bin nun mal ein alter Egoist.«
»Nein, sind Sie nicht«, widersprach Alice, deren Wut wieder erwachte. »Und es gibt überhaupt keinen Grund, warum ich nicht mehr bei Ihnen arbeiten sollte. Wenn er, ganz gleich ob Tag oder Nacht, nach Oxford oder nach Edinburgh verschwindet, ist es ja auch in Ordnung. Aber bei mir soll das anders sein. Für mich gelten offenbar andere Regeln.« Zornig stopfte sie sich ein großes Stück Brötchen in den Mund. »Manchmal ist er so unvernünftig, dass ich losschreien könnte. Ich weiß nicht einmal, ob er da sein wird, wenn ich heute Abend nach Hause komme.« Eine lange Pause entstand, in der der Professor Alice Zeit gab, sich zu beruhigen. Die dunklen Schatten unter ihren Augen waren ihm nicht entgangen. Er legte die Hand auf Alices beringte Finger und drückte sie rasch und verlegen.
»Sie kennen ja
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