Weites Land der Träume
braune, schulterlange Haar, das sie sonst ordentlich aufgesteckt trug, hatte sie locker mit einem Stück Schnur zurückgebunden. Adrian und Monica hatten geheiratet, kurz nachdem Alice Teddy kennen gelernt hatte, doch sie hatten sich seither nur selten getroffen, denn Monica hatte in ihrer Arztpraxis in Cambridge viel zu tun.
Monica begrüßte die beiden Besucher fröhlich. Als sie sich, die Gartenschere in der Hand, mit der Rückseite ihres Handschuhs die Stirn abwischte, hinterließ sie einen dunklen Streifen Schmutz. Ein Hauch von abgestandenem Schweiß und Küchendünsten stieg Alice in die Nase.
»Adrian ist bei den Ställen. Unseren neuesten Familienzuwachs habt ihr ja noch gar nicht kennen gelernt.« Bevor sie antworten konnten, führte Monica sie um das große Haus herum zu den nagelneuen Ställen, die erst vor wenigen Tagen fertig geworden waren. Die Holzstapel und Berge von Sand und Pflastersteinen wiesen darauf hin, dass noch viel getan werden musste, und der Geruch nach Dung und Heu rief alte Erinnerungen in Alice wach. Sie schnappte nach Luft, als Adrian mit einem prachtvollen Rotschimmel am Zügel auf sie zukam.
»Teddy meinte, du wolltest ihn vielleicht mal ausprobieren«, erklärte Adrian, als Alice das Pferd ohne nachzudenken streichelte.
»Was hat er gesagt?«, rief sie aus und drehte sich überrascht zu ihrem Mann um.
Als das Pferd, gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen, sie kräftig in die Schulter zwickte, schrie sie auf.
»Pass auf, du«, schimpfte sie und schob das Maul des Tieres weg. »Du hältst dich wohl für den Nabel der Welt.«
Sie strich mit der Hand über die schimmernden Flanken des Pferdes und bewunderte sein seidiges Fell. Das Tier schüttelte wiehernd den Kopf.
»Meistens«, gab Adrian zu.
»Na, steigst du jetzt auf, oder willst du mit dem Vieh nur plaudern?«, witzelte Teddy. Er plante so etwas, seit er Alice über Sherry reden gehört hatte.
»Ich bin doch gar nicht zum Reiten angezogen«, protestierte Alice und wies auf ihr geblümtes Sommerkleid und die hübschen Sandalen mit den flachen Absätzen.
»Dann reite eben im Damensattel«, schlug Adrian vor und reichte ihr die Zügel. Das Pferd pustete ihr vorne in den Ausschnitt. »Du kannst ein Paar Reitstiefel von mir haben.« Alice legte den Kopf in den Nacken und lachte auf. Sie hatte ganz vergessen, wie es war, wenn ein Pferd an einem herumstupste, insbesondere eines, das so frech und selbstsüchtig war wie dieses hier.
»Das ist nicht nötig!«, rief sie aus, schlüpfte aus ihren Sandalen, raffte ihren Rock und schwang sich, Adrians ausgestreckte Hand als Steigbügel benutzend, in den Sattel.
»Lass ihn über das Feld gehen«, meinte Adrian und wies auf das offene Gatter, hinter dem ein Feld mit verschiedenen Fässern und Stangen für Hindernisübungen lag. »Möchtest du den Braunen reiten?«, fragte er Teddy. Doch dieser schüttelte den Kopf.
»Sie braucht mich jetzt nicht. Sie braucht überhaupt niemanden. Schau sie dir an.«
Nachdem Alice das Pferd auf das Feld bugsiert hatte, ließ sie es langsam gehen. Rasch hatte sie das Tier besser kennen gelernt und trieb es erst zum Trab und schließlich zum Galopp an. Es war ein wundervolles Gefühl, wieder ein Pferd unter sich zu spüren. Sie war frei. Alle wunderschönen Erinnerungen an ihre Zeit mit Sherry kamen zurück, als sie rings um das Feld preschte. Die Tränen der Trauer, des Verlusts und des Glücks, die ihr die Wangen hinunterrannen, reinigten ihre Seele. Teddy hatte das alles geplant. Seit sie aufgewacht waren, hatte er genau gewusst, was er tun würde. Nun ergaben seine Bemerkungen, die sie zunächst nicht verstanden hatte, einen Sinn. Er war fest dazu entschlossen gewesen, sie wieder in den Sattel zu kriegen, und dafür liebte sie ihn so sehr.
»Ist sie nicht wunderschön? Ich kann nicht sagen, wer eleganter ist, Alice oder das Pferd«, seufzte Adrian und beobachtete fasziniert, wie Alice selbstbewusst und mit wehendem Rock rings um das Feld galoppierte.
»Du hast Alice heute eine große Freude gemacht, alter Junge«, begeisterte sich Teddy. »Vielen Dank.«
»Keine Ursache, mein Freund. Dieser Anblick war es wert.«
Es war die letzte Examenswoche Ende Mai. Teddy saß gerade in seinem Büro im College und korrigierte einige Arbeiten, als die Tür aufflog und Bertrand Wilbraham hereingestürmt kam. Wilbraham war Dozent für Englisch, zwei Jahre älter als Teddy und Mitarbeiter des Christ’s College.
»Teddles, alter Junge, ich habe gehofft, dich hier
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