Weites Land der Träume
ihrem Zusammensein mit Robert.
Alice knipste die verblühten Blüten einer Tausendschön-staude ab und schalt sich für ihre Albernheit. Sie hing Luftschlössern nach. Schließlich hatte Robert die Liebe mit Füßen getreten, die sie ihm geschenkt hatte, während Teddy ihr ein guter Ehemann war. Sie war unfair ihm gegenüber.
Dennoch war ihr klar, dass sie ihre Enttäuschung und ihre Wut, weil sie nicht hatte mitfahren können, nur aus schlechtem Gewissen für sich behalten hatte. Seit einiger Zeit schon fiel ihr auf, dass sie immer nachgiebiger wurde. Wo sie sich früher mit Teddy gestritten hätte, sagte sie nun zu allem Ja und Amen. Als Alice sah, wie Vicky den Gartenweg entlanghüpfte, schob sie die bedrückenden Gedanken beiseite. Vicky bereitete ihr so viel Freude. Teddy und sie führten eine gut eingespielte Ehe. In ein paar Monaten würde das unangenehme Thema Türkei der Vergangenheit angehören. Dann würde sie Bea und Ray in die Arme schließen und Vicky und Teddy ihr zauberhaftes Heimatland zeigen können.
Da Alice den Tag zu schön fand, um ihn im Haus zu verbringen, schlenderte sie gemächlich im Garten umher, strich mit den Fingern über die Blüten der Blumen, schnupperte den Duft von Kletterrosen und Geißblatt und lauschte dem leisen Summen der Bienen und dem Gesang der Lerchen am Himmel. Dank der vertrauten und angenehmen Geräusche und Gerüche besserte sich ihre Stimmung allmählich, und sie genoss das Gefühl der Unbeschwertheit. Sie brauchte nichts als Platz, Platz und die Zeit, um zu träumen. Dann würde ihr Kampfgeist schon zurückkehren. Alice beschloss, keine Minute zu verschwenden, eilte ins Haus und kehrte mit kalten Getränken, einer Decke und Stift und Papier zurück. Während Vicky vergnügt ihre winzige rote und grüne Schubkarre im Schatten eines großen Maulbeerbaums herumschob, zeichnete Alice auf, wie ihre geplante Schaffarm einmal aussehen sollte.
»Was machst du da, Mum?«, fragte Vicky, ging in die Knie und blickte Alice, die bereits einiges entworfen hatte, neugierig an.
»Ich zeichne ein Bild von unserem Haus in Australien, Schätzchen. In diesem Jahr fahre ich mit dir hin, damit du dir echte Kängurus und Koalas anschauen kannst. Und eines Tages werden wir alle dort wohnen und viele Schafe haben.
Dann kannst du mir helfen, die kleinen Lämmchen zu versorgen.« Sie band Vickys Haarschleife fest und streichelte ihr die Wange. Es konnte funktionieren, auch wenn sie anfangs einen Verwalter einsetzen oder zwischen England und Australien hin und her pendeln musste. Sicher würde Teddy einverstanden sein, wenn sie ihm einen gut durchdachten Plan vorlegte. Was hatte Harry kurz vor Alices Hochzeit gesagt? Zuerst musst du unter die Haube kommen, dann klappt das mit den Schafen schon. Seitdem schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Besaß sie denn noch die Leidenschaft, um ihren und Bens Traum wahr werden zu lassen? Alice ließ den Blick durch den Garten und über die üppig grünen Wiesen schweifen, die in der Hitze dunstig schimmerten. Doch ihr Herz sehnte sich nach dem ausgedörrten staubigen Land mit seinen Bewässerungsgräben, das sie einst ihre Heimat genannt hatte. Endlose Weiten, in denen grüne Papageien umherflatterten, Kängurus reglos am Rand einer Staubpiste verharrten und Kakadus mit gelben Kämmen ihr ohrenbetäubendes Kreischen ausstießen. Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen, als ihr einfiel, wie sie und Ben gelacht hatten, als eines von Rays Hemden der Fressgier einer Ziege zum Opfer gefallen war. Ihre Entscheidung stand fest. Alice erhob und streckte sich. Platz und Zeit, um zu träumen. Morgen würde sie mit Vicky etwas Schönes unternehmen. Sie wandte sich wieder ihrem Notizblock zu.
Allerdings waren Ruhe und Frieden nur von kurzer Dauer. Zwei Tage später traf Lady Georgina Turlington – eine pummelige und unscheinbare junge Dame namens Marigold Gresham-Forbes im Schlepptau und mit zu vielen Gepäckstücken – unangemeldet in Mill House ein. Georgina teilte Alice mit, sie könne unmöglich ohne ein richtiges Kindermädchen zurechtkommen, weshalb sie Teddles versprochen habe, sich um Alices Wohlbefinden zu kümmern. Nachdem sie den Haushalt gründlich unter die Lupe genommen, die Speisekammer aufgefüllt und Unsummen für überflüssige Blumensträuße ausgegeben hatte, verkündete sie, die Gresham-Forbes seien schon seit Generationen Freunde der Familie. Gewiss würde Marigold Alice bei Vickys Erziehung eine große Hilfe sein. Nachdem Lady
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