Weites Land der Träume
schaffte es dank weiterer Aushilfstätigkeiten, das gestohlene Geld mit der Zeit zu ersetzen, so dass sie alle drei bis vier Wochen eine Flugstunde nehmen konnte. Die restliche Zeit über lernte sie so viel wie möglich über die Versorgung und die Aufzucht von Vieh. Wenn sie nicht in der Schule war, unternahm sie mit Sherry ausgedehnte Ausritte über die Ebenen und genoss die Schönheit des Landes, das sie so sehr liebte. Dennoch ärgerte sie sich, wenn sie daran dachte, wie die Männer den Blick abwandten und mit den Füßen scharrten, sobald sie während ihrer Ausflüge mit Ray wissen wollte, woran man einen guten Widder oder Zuchtschafe erkannte. Tante Beas Erklärung, dass es Männern peinlich sei, solche Dinge in Gegenwart einer Frau zu erörtern, steigerte ihren Verdruss nur noch.
Als Katie in den Ferien nach Hause zurückkehrte, kam es wieder zu Spannungen, die allerdings nicht von Dauer waren. Katie brannte darauf, jeden mit ihren neu erworbenen Kenntnissen zu beeindrucken, und verbrachte ihre Zeit lieber mit ihren neuen Schulfreundinnen, hauptsächlich Töchtern reicher Gutsbesitzer. Den Großteil der Ferien stattete Katie ihnen Besuche ab. Alice war bestürzt über Tante Beas unglückliche Miene, als Katie sich beschwerte, wie jämmerlich klein ihr Haus verglichen mit den Anwesen ihrer Freundinnen sei. Wie viele Opfer Ray und Bea brachten, um ihrer Tochter eine gute Ausbildung zu ermöglichen, nahm sie überhaupt nicht wahr. Als Katie ihre Freundinnen gnädigerweise zu sich nach Hause einlud, wollte Alice sich nicht aufdrängen. Die beiden Cousinen behandelten einander zwar höflich, hielten aber Abstand. Bei Gelegenheiten wie diesen hatte Alice das Gefühl, dass Tante Bea sie zurückwies, vermutlich um nicht zu viel Zuneigung für ihre Nichte zu zeigen, da sie befürchtete, damit Katies kaum verhohlener Eifersucht neue Nahrung zu geben. Alice war stets erleichtert, wenn die Schule wieder begann und sich das eigentlich liebevolle Verhältnis zu ihrer Tante und ihrem Onkel normalisierte.
Als Billy und Paddy aus Wangianna zurückkehrten, herrschte sofort eine ganze andere Stimmung. Die drei scherzten und lachten zusammen wie damals als sie Kinder waren, auch wenn Alice Billy hin und wieder dabei ertappte, wie er sie mit einem Blick musterte, den sie nicht einordnen konnte. Sie wurde schüchtern und fühlte sich in ihrem Körper unsicher. Billy jedoch löste die Anspannung, indem er sie hochhob und so mühelos durch die Luft wirbelte wie früher als kleines Mädchen.
»Schau, Kindchen, du bist noch nicht so alt, dass ich nicht auf meine kleine Cousine aufpassen müsste.« Er küsste sie auf die Wange, tätschelte sie wie einen Welpen und machte sich mit Paddy auf den Weg in den Pub.
Eines heißen Abends gegen Ende der Weihnachtsferien, Alice war fünfzehneinhalb Jahre alt, flohen sie und Billy vor Katies Sticheleien und schlenderten zusammen am Flussufer entlang. Die Frösche quakten, und in der Dämmerung zirpten die Zikaden. Alice liebte Momente wie diese, und sie fühlte sich in Billys Gegenwart sicher und geborgen. Dennoch machte ihr Herz aus unerklärlichen Gründen einen Satz, als Billy wie beiläufig ihre Hand nahm. Überrascht sah sie ihn an und schob die albernen Gedanken weg, die ihr durch den Kopf schossen. Sein Lächeln war so offen und freundlich, wie sie es schon immer von ihm kannte. Die Vernunft sagte ihr, dass er nur nett zu seiner kleinen Cousine sein wollte, auch wenn seine Anwesenheit heute neue und verwirrende Gefühle in ihr wachrief. Gemeinsam schlenderten sie schweigend auf das ausgetrocknete Flussbett zu. Alice war nicht sicher, ob sie ihre Hand in seiner lassen oder sie wegziehen sollte. Im Schatten der hohen Brückenpfeiler blieb Billy stehen und legte Alice sanft den Arm um die Taille. Dann lauschten sie den Geräuschen des Busches.
»Wenn ich in Wangianna Heimweh kriege, denke ich an diesen Ort hier. Hör, wie der Wind in den Bäumen flüstert«, murmelte Billy und strich Alice liebevoll übers Haar. »Erinnerst du dich an den Tag unserer ersten Begegnung, als du kurze Haare hattest wie ein Junge? Du sahst richtig struppig aus.« Alice, die den Zauber des Augenblicks nicht zerstören wollte, hielt den Atem an, überzeugt, dass er das Klopfen ihres Herzens hören konnte. Ohne Scheu zog er sie an sich, sodass sie seinen warmen muskulösen Körper an ihrem spürte.
»Weißt du, wie schön du geworden bist, kleine Alice?« Alice stand da wie erstarrt und brachte keinen Ton
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