Weites Land der Träume
sind.«
»Liebling, das haben wir doch bereits durchgesprochen«, wandte Bea rasch ein. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. »Du weißt, dass das nicht wahr ist. Mir ist klar, dass die letzten Tage mit dem vielen Gehetze und der Planerei ziemlich anstrengend für dich waren. Aber ich habe jetzt einfach nicht die Kraft für euer Herumgestreite. Bitte, Alice, wenn du wirklich so notwendig Geld brauchst, frag mich das nächste Mal. Und jetzt müssen wir deine Sachen fertig packen.« Bea drehte sich um und ging hinaus. »Krieg«, flüsterte Katie, bevor sie ihrer Mutter folgte.
Alices Wut verwandelte sich schlagartig in Angst. Am ganzen Leibe bebend eilte sie hinaus zu Sherrys Koppel, wo sie atemlos und erleichtert stehen blieb, als sie sah, dass das Pferd friedlich graste und dass das Gatter fest geschlossen war. Zum Glück würde morgen alles vorbei sein.
Am Tag von Katies Abreise war es heiß und stickig, und ein Gewitter kündigte sich an. Nachdem Alice ihre Cousine zum Abschied widerwillig geküsst hatte, blickte sie dem Wagen nach, in dem Ray, Bea und eine aufgeregte Katie zum Bahnhof fuhren; ein gewaltiger Stein fiel ihr vom Herzen. Sie reckte die Arme zu den tief hängenden Wolken empor. Wenigstens in den nächsten Wochen würde ihr Leben friedlich verlaufen, und außerdem würde sie das ganze Bett für sich allein haben. Sie würde schon einen Weg finden, um den Keil zu beseitigen, den Katie zwischen sie und Tante Bea getrieben hatte. Ben näherte sich von hinten.
»Ich weiß, dass du das Geld nicht geklaut hast, Schwesterchen. Ich bin nämlich reingekommen, als Katie gerade in die Kasse gegriffen hat.« Alice wirbelte herum. »Als sie mich sah, hat sie nur gelacht und mir mit dem Geldschein vor der Nase herumgewedelt.«
»Warum hast du nichts gesagt?«
»Damit sie mich auch einen Lügner nennt? Wach auf, Schwesterchen. Wir brauchen unser eigenes Zuhause. Tante Bea und Onkel Ray lieben uns zwar, aber sie sind nicht unsere richtigen Eltern.« Er steckte die Hände in die Taschen. »Glaubst du, Dad kommt je wieder zurück?«, fragte er unvermittelt. Bei diesen unerwarteten Worten stiegen Alice die Tränen in die Augen. Vorsichtig wischte sie sie weg.
»Keine Ahnung, Ben«, erwiderte sie und sah, wie das Fünkchen Hoffnung in seinen Augen erstarb. Plötzlich fühlte sich ihre Welt entsetzlich leer an. »Ich mache dir einen Vorschlag. Warum kaufen wir beide ihm nicht ein schönes Geschenk und schicken es ihm?« Sie hatte ein wenig mehr Geld übrig, als sie für ihre nächste Flugstunde brauchte. Nachdem sie ihren Plan gründlich erörtert hatten, trollte sich Ben sichtlich aufgemuntert.
Plötzlich hatte Alice das dringende Bedürfnis, nach ihrem Geld zu sehen. Sie sprang auf, eilte auf die Veranda und wühlte hektisch in ihrer Unterwäsche, um das kleine Päckchen zu finden. Es war fort. Bestürzt griff sie unter die Matratze und holte die Dose hervor. Sie war leer bis auf ein ordentlich gefaltetes Stück Papier. Tränen der Enttäuschung traten Alice in die Augen, als sie den Zettel öffnete und die Worte las: »Danke für die Finanzspritze. Viel Spaß beim Fliegen. K.D.« Unter Katies Initialen stand das Datum von heute. Alice knüllte den Zettel zusammen und schleuderte ihn durch den Raum, so fest sie konnte. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht und vergrub das Gesicht im Kissen.
Nach einer Weile ließ die Wut nach, und sie hob den Kopf. Sie schluckte, hob das Papierknäuel auf, strich es vorsichtig glatt, legte es zurück in die Dose und schob diese wieder unter die Matratze. Nun würde sie noch härter arbeiten und noch ein wenig länger auf ihre nächste Flugstunde warten müssen. Allerdings konnte sie nun auch kein Geschenk für ihren Vater kaufen, und es gefiel ihr gar nicht, Ben enttäuschen zu müssen.
»Katie Downing«, sagte sie laut. »Weder du noch sonst jemand kann mir meine Liebe zu diesem Land nehmen oder zerstören, was ich mir geschaffen habe. Während du lernst, eine Dame zu sein – falls du das jemals schaffst –, werde ich meinen Traum wahr werden lassen.« Es herrschte wieder Frieden in ihrem Herzen, als sie langsam die Stufen zur Veranda hinunterging. In der Ferne grollte der Donner.
Kapitel zehn
Seit Katie im Internat war, hatte die Anspannung im Hause Downing eindeutig nachgelassen. Alices offensichtlich gute Stimmung bestätigte Tante Bea darin, dass es richtig gewesen war, die beiden Mädchen voneinander zu trennen. Alice übernahm Katies Stelle in der Bäckerei und
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