Weites Land der Träume
wieder auf Sherrys Rücken und trieb sie zu einem schnellen Galopp an. In diesem Tempo würde sie es sicherlich rechtzeitig schaffen. Alice achtete nicht darauf, dass die nassen Jeans ihr die Schenkel wund scheuerten, und ließ ihren wundervollen Soloflug noch einmal Revue passieren. So sehr war sie in ihre Erinnerungen versunken, dass sie den herunterhängenden Ast zu spät bemerkte. Die Wucht des Aufpralls riss sie von Sherrys Rücken, während das Pferd weitergaloppierte. Um sich abzustützen, streckte sie den rechten Arm aus. Schmerz durchfuhr sie. Dann verlor sie die Besinnung.
Robert McIain, Erbe der berühmten Merinofarm Wangianna, ritt fröhlich pfeifend durch das Gebüsch in Richtung Fluss. In einer Hand hielt er die quer über dem Sattel liegende Büchse. Die letzten beiden Tage war er das gewaltige Gelände abgeritten, das sich viele Hundert Kilometer weit über die fruchtbaren schwarzen Ebenen von Neusüdwales erstreckte, um die Zäune zu kontrollieren und nach versprengten Schafen zu suchen.
Mit seinen zwanzig Jahren hatte sich Robert von dem mageren Bengel, der er bis in seine Teenager-Jahre gewesen war, zu einem kräftigen und gut aussehenden jungen Mann entwickelt. Eindringlich dreinblickende braune Augen leuchteten aus einem offenen und freundlichen Gesicht, das von der vielen Arbeit im Freien auf dem Anwesen der Familie sonnengebräunt war. Das flammend rote Haar, das ihm als Kind den Spitznamen Bluey eingebracht hatte, war zu einem leuchtenden Kastanienbraun verblasst und verschwand momentan unter einem breitkrempigen Hut. Die aufgekrempelten Ärmel seines blauen Arbeitshemdes gaben gebräunte, muskulöse Unterarme frei. Er trug es offen bis zur Brust und lässig in eine abgetragene Arbeitshose gesteckt. Die braunen Arbeitsstiefel steckten locker in den Steigbügeln. Robert kratzte sich an der Brust.
Es war schön, endlich einmal Pause zu haben. Baumstümpfe zu roden war Knochenarbeit. Zum Teufel mit dem Geländewagen! Er war fest entschlossen, die verdammte Schrottlaube in die Luft zu sprengen, wenn er noch einmal einen Blick unter die Motorhaube würde werfen müssen. Dennoch hatten sie in der vergangenen Woche viel geschafft, so dass er sich ein paar Tage Abstand gönnen konnte. Das Abreiten des Besitzes war zwar eine langwierige Angelegenheit, aber Robert empfand es als weniger anstrengend. Mein Gott, wie sehr er an Wangianna hing: dem großen, lang gestreckten Haus, in dem er geboren worden war. Ringsherum verlief eine breite Veranda, und das Gebäude war von einem sorgfältig gepflegten Garten umgeben. Hundertjährige Gummibäume schützten das Haus, die Wollschuppen und die Unterkünfte der Farmarbeiter vor der sengenden Sonne. Doch am allermeisten liebte Robert das Land, dessen scharfe Kontraste er als besonders schön empfand. Er hatte diese Liebe von seinem Großvater und seiner Mutter geerbt, und er war stolz darauf, in vierter Generation Erbe einer Familie zu sein, die mit leeren Taschen quer über den Erdball gezogen war, um hier im unberührten Busch eine Hütte zu bauen und sie zur berühmtesten Merinozucht Australiens zu machen.
Robert schob sich den Hut aus dem Gesicht und hielt Ausschau, ob sich im Busch etwas bewegte. In dieser Gegend wimmelte es von Wildschweinen, sodass er sicher eines erlegen würde, um es heute Abend über dem Lagerfeuer am Spieß zu braten. Seine Miene hellte sich auf, als er im dürren gelben Gras ein Riesen-Waldschwein, das größte Wildschwein überhaupt, entdeckte. Begeistert brachte er sein Pferd zum Stehen und legte an. Doch bevor er das Schwein ins Visier bekam, wurde es offenbar von etwas aufgeschreckt und flüchtete ins Gebüsch. Verärgert ließ er die Waffe sinken. Jedenfalls bedeutete die Gegenwart dieses Ungeheuers mit den bösartig glitzernden Augen, dass er auf der richtigen Spur war. Sicher gab es hier noch mehr dieser Tiere, die ziemlich gefährlich werden konnten, wenn sie einen mit ihren Hauern angriffen. Allerdings gaben die Schweine einen ausgezeichneten Braten ab. Er rückte seinen Hut zurecht, trieb sein Pferd an und folgte dem Pfad, auf dem das Schwein verschwunden war.
Alice hatte keine Ahnung, wie lange sie besinnungslos gewesen war, und wusste auch nicht, warum sie überhaupt auf dem Boden lag. Sie spürte nur einen heftigen pochenden Schmerz im Kopf und im Arm und bemerkte im nächsten Moment, dass Sherry verschwunden war. Voller Angst, der Stute könnte etwas zugestoßen sein, setzte sie sich zu rasch auf, sodass ihr
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