Weites Land der Träume
schwindelig wurde und sie sich wieder hinlegen musste. Doch zu ihrer Erleichterung kam Sherry, die ganz in der Nähe gegrast hatte, auf sie zu, stupste sie mit ihren warmen Nüstern an und pustete ihr sanft ins Gesicht. Vorsichtig setzte sie sich wieder auf und versuchte, das Schwindelgefühl und den heftigen Schmerz in ihrem Arm zu ignorieren.
»Alles in Ordnung, Sherry, altes Mädchen. Ganz ruhig.« Sherry wartete geduldig und schien die missliche Lage ihrer Herrin zu erspüren. Übelkeit stieg in Alice hoch, und sie befürchtete schon, sie würde wieder in Ohnmacht fallen. Zehntausend Hämmer droschen auf ihren Schädel ein, und sie war ziemlich sicher, dass sie sich das Handgelenk gebrochen hatte. Wenn es ihr gelang, auf Sherrys Rücken zu klettern, war sie gerettet. Sherry würde sie beide nach Hause bringen. Sie biss sich auf die Unterlippe, um den Schmerz zu unterdrücken, und versuchte erneut aufzustehen. Den rechten Arm an den Körper gepresst, zog sie sich langsam auf die Knie und stützte sich gegen Sherrys kräftige Flanken. Die Stute knabberte an ihrem Ohr.
»Ganz ruhig, mein Mädchen, ganz ruhig«, keuchte Alice. Fast hatte sie es geschafft. Doch als sie ihren Fuß belastete, schrie sie wieder auf. Oh, nein, nicht auch noch der Knöchel!
Tränen traten ihr die Augen. Fest entschlossen hüpfte sie auf einem Bein weiter, lehnte sich schwer an Sherry und überlegte, wie sie sich trotz der Schmerzen in den Sattel hieven sollte. Da brach plötzlich schnaubend und grunzend ein Wildschwein aus dem Gebüsch hervor. Trotz ihrer Benommenheit bemerkte Alice, dass es genau auf sie zulief. Ihr Aufschrei übertönte den Schuss, und das Herz klopfte ihr bis zum Halse. Als Sherry vor Schreck durchging, stürzte Alice ins Leere.
»Was bilden Sie sich eigentlich ein, in einer Gegend, wo es von Wildschweinen wimmelt, vom Pferd zu fallen? Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Wenn Sie nicht reiten können, sollten Sie es bleiben lassen.«
Der schreckliche Schmerz raubte Alice den Atem. Als sie sich umdrehte, blickte sie in eindringliche braune Augen, die ihr aus einem unverschämt attraktiven Gesicht entgegenleuchteten. Ihr Retter stand verärgert und die Büchse in der Hand vor ihr.
»Sherry! Was haben Sie mit Sherry gemacht?«, rief sie, als sie seine Waffe bemerkte. Mühsam versuchte sie sich aufzurappeln, doch es war vergeblich; ihr Magen zog sich zusammen. Der junge Mann kniete sich zu ihr, und im nächsten Moment war sein Ärger verraucht.
»Nur mit der Ruhe. Tut mir Leid, ich wollte Sie nicht anbrüllen. Ich war nur so erleichtert, dass Sie sich nichts getan haben.«
Als sie etwas erwidern wollte, musste sie sich übergeben. Verlegen griff sie nach dem angebotenen Taschentuch und spürte erleichtert die angenehm kühlen Finger ihres Retters an ihren pochenden Schläfen, als er ihr den Kopf hielt.
»Sherry? Ist das Ihr Pferd?«, fragte ihr Retter und legte ihr den Arm um die Schulter. Alice nickte, während sie sich, das Taschentuch immer noch vor den Mund haltend, verzweifelt umsah.
»Sie steht gleich da drüben. Festgebunden neben meinem.« Beruhigt ließ sich Alice in die Arme ihres Retters sinken, hielt ihren gebrochenen Arm und versuchte, nicht auf den dumpfen Schmerz zu achten. Da fiel ihr das Wildschwein ein. Als sie den Kopf hob, bemerkte sie zu ihrem Entsetzen, dass das tote Tier nur wenige Meter entfernt von ihr lag.
»Genau«, meinte Robert streng. »Diese Biester sehen zwar nicht sehr bedrohlich aus, aber sie können einen Menschen regelrecht aufschlitzen. Wundert es Sie da, dass ich Sie angeschrien habe?« Ihre Gesichtsfarbe gefiel ihm ebensowenig wie die dicke Beule auf ihrer Stirn. Obwohl sich Alice über seine Vorwürfe ärgerte, fühlte sie sich zu elend, um mit ihm herumzustreiten.
»Sie sehen ziemlich übel aus«, fuhr Robert fort, »und die Beule am Kopf ist auch kein hübscher Anblick. Sie könnten eine Gehirnerschütterung haben. Am besten bringen wir Sie nach Hause. Können Sie sich bewegen?« Als er Alice aufhelfen wollte, zuckte sie zusammen.
»Ich glaube, ich habe mir den Arm gebrochen«, flüsterte sie, und ihr war immer noch übel. »Und mein Knöchel tut scheußlich weh.« Das Sprechen fiel ihr so schwer, dass ihr schon wieder schwummerig wurde.
»Lassen Sie mich mal sehen.«
Mit schmerzverzerrtem Gesicht erlaubte ihm Alice, ihre Hand mit schwieligen Fingern zu betasten.
Auf Roberts Gesicht erschien ein leichtes Lächeln, bei dem er blendend weiße Zähne zeigte.
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