Weites wildes Land
daß er mich nicht gesehen hat. Er hat mich ausgelacht.« »Unmöglich! Wann war das?« »Oh, damals… Ich möchte nicht darüber sprechen. Der allerneueste Plan ist, mich mit dem erstbesten Herrn zu verheiraten, der mich haben will.« »Also ›wollen‹ Sie gar nicht heiraten, wie Sie mir geschrieben haben«, stellte Josie fest. »Sie dürfen sich nicht unter Druck setzen lassen. Sagen Sie einfach nein.« »Ich weiß nicht.« Sibell dachte nach. »Zumindest käme ich dann fort von hier.« »Wahrscheinlich eher vom Regen in die Traufe.« »Kann ich Ihnen Tee anbieten?« fragte Sibell. »Nein, danke, ich muß jetzt gehen. Ich habe keine große Lust, Mrs. Gilbert zu begegnen, und ich breche lieber auf, ehe es wieder zu regnen anfängt. Aber Sie müssen mir weiterhin schreiben. Ich bleibe mit Ihnen in Verbindung, und wenn ich irgendwas für Sie tun kann, dann geben Sie mir Bescheid.« Sibell begleitete sie bis an die Eingangspforte. »Vielen Dank für Ihren Besuch. Mir geht es jetzt schon viel besser.« »Fein, und machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie mal in die Stadt kommen, gehen Sie beim Amt der Landvermesser vorbei. Mr. Conal würde sich sicher freuen, Sie zu sehen.« »Damit die spitzen Zungen wieder etwas zu tun haben?« »Darüber dürfen Sie sich keine Gedanken machen. In vielen Jahren erzählen Sie schmunzelnd Ihren Enkelkindern über den Schiffbruch und davon, wie ein gewisser Logan Conal Sie den verlassenen Strand entlanggehetzt hat.«
* * *
»Ich langweile mich«, sagte Logan bei einem Glas Bier im Esplanade Inn. »Ich bin gelangweilt, unzufrieden und enttäuscht. Außerdem habe ich keinen Pfennig mehr in der Tasche. Und ich armer Irrer habe geglaubt, in ein Land zu kommen, in dem Milch und Honig fließt, in ein Land, in dem ein freier Geist herrscht.« »Davon sind die Leute hier noch weit entfernt«, klagte Charlie Grant. »Der Whisky kostet das Doppelte wie in der alten Heimat, und von einem Schuß Gin für einen Pfennig hat man hier noch nie gehört.« »Nichts hat sich geändert«, meinte Logan leise. »Nur der Himmel ist anders. Aber sonst ist es so, als wäre ich niemals von Mersey fortgegangen. So große Pläne habe ich gehabt, und stattdessen versuche ich, meinem Vermieter aus dem Weg zu gehen und buckle vor den Behörden. Ich wette, die Hälfte aller Taugenichtse aus Liverpool hat sich hier am Swan niedergelassen.« »Trink noch ’nen Brandy«, sagte Charlie. »Das muntert dich auf. Ich geb’ einen aus.« »Dann bestell einen Doppelten; der nächste geht dann auf meine Rechnung. Am besten lasse ich mich so richtig vollaufen. Was ich noch sagen wollte…« Er geriet ins Stottern. »Was ich sagen wollte, Charlie, tja, eigentlich dachte ich, ein Mann könnte hier ein Vermögen machen. Aber ich verdiene fast nichts und drücke mich die Hälfte meiner Zeit bei Gericht herum.« »Das liegt daran, daß du ein richtiger Landvermesser bist, ein Fachmann, und kein Glücksritter wie ich. Man hat mir die Arbeit angeboten, und da es sich weniger anstrengend anhörte als bei der Armee, habe ich zugeschlagen. Wenn ich ein paar Sträflinge hätte, wäre ich schon längst über alle Berge, um alles abzumessen, was mir unter die Finger kommt.« »Mir ist aufgefallen, daß die Grenzen hier solch ein Wirrwarr sind, daß sie aussehen wie die Strickarbeit einer Verrückten. Und ich darf das alles jetzt wieder in Ordnung bringen.« Er gab dem vollbusigen Mädchen hinter dem Tresen ein Zeichen. »Zwei doppelte Brandy bitte.« »Angeschrieben wird nicht«, entgegnete sie. »Nur bar auf den Tisch des Hauses.« »Das geht auf meine Rechnung«, sagte Charlie und legte die Münzen auf das klebrige Holz. »Etwa auch aus Liverpool?« fragte Logan. »Ich nicht«, antwortete sie und stellte die Brandygläser vor sie hin. »Aber mein Alter.« »Sträflingstransport«, flüsterte Charlie, aber sie hatte ihn gehört. »Ja, er ist zwar deportiert worden, aber verdammt stolz darauf«, zischte sie. »Der Laden hier gehört ihm. Und was gehört Ihnen?« »Nichts, Mädchen«, erwiderte Logan grinsend. »Überhaupt nichts. War nicht so gemeint.« »Sie sind doch nicht der Bursche, der das Schiffsunglück überlebt hat, oder?« wollte sie wissen. »Ja, Logan Conal, zu Ihren Diensten.« »Das ist doch nie und nimmer ein englischer Name.« »Stimmt. Die Welt ist eben ein Dorf. Mein Großvater stammte aus Belfast, aber weiter als Liverpool ist er nicht gekommen«, log Logan, ohne mit der Wimper zu zucken. »Auch ein
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